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Tuesday, August 21, 2012

Gesetzliche Verankerung der Netzneutralität in Österreich?

Gestern wies die ÖVP-Abgeordnete zum Nationalrat Eva-Maria Himmelbauer (wie das Bild nebenan zeigt, ist der Betrieb ihrer Eltern seit immerhin 1883 in der EDV tätig!) auf  Twitter auf einen Bericht der Tiroler Tageszeitung hin, wonach die ÖVP nun für Netzneutralität eintrete (der von Himmelbauer verlinkte Schnappschuss des Berichts in der Tiroler Tageszeitung ist hier, online ist der Artikel nicht zu finden).

Die Tiroler Tageszeitung ist da offenbar in ein Zeitloch gefallen, denn im Artikel heißt es: "Lange wurde nur in den USA darüber debattiert, jetzt kommt die Diskussion endlich auch nach Österreich." Ich will mich da ja nicht vordrängen, aber ich kann mich zumindest noch daran erinnern, dass ich vor rund vier Jahren beim 4. Österreichischen Rundfunkforum (September 2008) dazu ein Referat gehalten habe, über das durchaus auch diskutiert wurde (Manuskript, Folien dazu). Und spätestens im Jahr 2009 war die bis dahin tatsächlich in Österreich etwas ruhigere Diskussion auch hierzulande ernsthaft angekommen. 

Insbesondere war Netzneutralität nämlich ein wesentliches Thema bei der Reform des europäischen Rechtsrahmens für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, die mit der Kundmachung der neuen Rechtsvorschriften im Dezember 2009 auf europäischer legislativer Ebene vorerst abgeschlossen war. Der europäische Gesetzgeber wählte dabei allerdings bloß einen  "Informationsansatz", der auf der Überlegung beruht, dass ISPs ihre Kunden über Einschränkungen der Netzneutralität informieren müssen, sodass die solcherart aufgeklärten Konsumenten frei wählen könnten zwischen Anbietern, die verschiedene Qualitäten des Internetzugangs zu wohl auch unterschiedlichen Preisen anbieten würden. Ich habe aktuell weder Zeit noch Lust, das im Detail hier auszuführen, eine Übersicht dazu kann man zB in diesem Vortragsmanuskript von mir (auf Seiten 4-9) finden. 

Die österreichische Umsetzung der Richtlinienbestimmungen im TKG 2003 ist erwartungsgemäß zu spät und erwartungsgemäß eher buchstabengetreu ausgefallen, Anregungen für einen weitergehenden Schutz der Netzneutralität - wobei ich hier auch dahingestellt lassen will, wie weit das europarechtlich möglich wäre - wurden abgeblockt. ÖVP-Telekomsprecherin Karin Hakl beispielsweise meinte, dass es "nicht sinnvoll und zum Glück noch nicht notwendig" sei, Netzneutralität "derzeit im TKG festzuschreiben" (wie in diesem Artikel auf der ORF-Website berichtet wurde; eine ähnliche Meinung kam dazu auch aus dem SPÖ-geführten Infrastrukturministerium, etwas differenziertere Worte von SP-Abgeordneter Ablinger; für eine gesetzliche Festschreibung sprach sich der Abgeordnete der Grünen Albert Steinhauser aus; FPÖ und BZÖ wurden offenbar nicht befragt; die Telekom Austria war klarerweise dagegen).

Vor diesem Hintergrund ist natürlich der nun kryptisch via Tiroler Tageszeitung angekündigte Schwenk der ÖVP durchaus interessant, zumal darin auch - wohl nicht ohne entsprechende Signale aus der ÖVP - von einer möglichen Festschreibung der Netzneutralität nach dem Vorbild der Niederlande - siehe dazu bei Bits of Freedom, mit einer englischen Übersetzung der relevanten Bestimmungen) in einer Novelle zum Telekommunikationsgesetz die Rede ist. 

Eine konkrete SPÖ-Position, die zwischen SPÖ-Verkehrsministerin und Parlamentsklub abgestimmt wäre, ist mir nicht bekannt. Ein relativ aktuelles "Positionspapier für eine progressive Netzpolitik der SPÖ-Parlamentsfraktion" enthält unter "Garantie der Netzfreiheit" auch ein allgemeines Bekenntnis zur "Neutralität der Internet-Infrastruktur (Technologie- und Serviceneutralität)" und den Wunsch, Zugangsanbietern "Diskriminierungen bestimmter Dateninhalte, mittels der Übertragung mit verschiedenen Geschwindigkeiten, gesetzlich" zu verbieten (was allerdings offen lässt, ob ein vollständiges Blocken - nicht nur Verlangsamen - des Zugangs zu Inhalten und Diensten erlaubt sein soll).

Stimmt der Bericht in der TT, könnte sich also eine Annäherung zwischen ÖVP und SPÖ im Bereich Netzneutralität abzeichnen. Was die TelekomsprecherInnen der Regierungsparteien dazu sagen, wäre jetzt durchaus interessant - aber wer wäre das nun eigentlich? Laut der Website des ÖVP-Klubs (wie auch des Parlaments) ist Karin Hakl immer noch Telekomsprecherin ihrer Fraktion (auch wenn sie laut eigener Website von einer "Ruhestellung" dieser Funktion spricht; dies im Zusammenhang mit den hier berichteten, von ihr zurückgewiesenen Vorwürfen). Die Situation auf Seiten der SPÖ ist nicht viel anders, hier war (ist?) Kurt Gartlehner zuständig (der auf der Klub-Website weiterhin als Bereichssprecher für Industrie und Technologie genannt wird), und auch er hat seine Funktion angeblich ruhend gestellt - womit die doch einigermaßen bemerkenswerte Situation eingetreten ist, dass beide Regierungsparteien seit immerhin etwa einem halben Jahr keine aktiven TelekomsprecherInnen mehr haben. 

Insofern ist es auch schwer abzusehen, woher in nächster Zeit eine entsprechende Initiative für eine Novelle des Telekommunikationsgesetzes zur Verankerung der Netzneutralität kommen könnte. Zwar liegt dem Nationalrat ein - recht allgemein gehaltener - Entschließungsantrag des grünen Abgeordneten Steinhauser vor, der schon im März 2011 eingebracht wurde. Dieser wurde allerdings im vergangenen Dezember im zuständigen Ausschuss kurz anberaten und dann vertagt, in der nächsten Auschusssitzung steht er nicht auf der Tagesordnung, die nächste Sitzung ist dann erst für 22. November 2012 anberaumt - zudem ist kaum vorstellbar, dass ein grüner Entschließungsantrag von SPÖ und ÖVP aufgegriffen würde. Noch viel weiter weg ist man allerdings von einem realistischen Vorschlag für einen konkreten Gesetzestext - und die Lobbying-Maschinerie der Telekom-Branche ist auch noch nicht einmal angeworfen (auch wenn dabei nicht nicht mehr all jene Mittel eingesetzt werden können, die in letzter Zeit im Korruptionsuntersuchungsausschuss diskutiert wurden, so sollte man doch die Überzeugungskraft der gesamten Branche nicht unterschätzen). 

Auch von europäischer Seite ist kaum Rückenwind für neue gesetzliche Regelungen zu erwarten. BEREC hat zwar einen Bericht vorgelegt, der - obwohl er nur auf Informationen der Anbieter basiert - masive Einschränkungen der Netzneutralität belegt, allerdings keine konkreten länderbezogenen Angaben veröffentlicht.*) Die zuständige Kommissarin hat dazu gleich mitgeteilt, dass es keinen Grund für gesetzliche Regelungen gäbe und sie weiterhin zuschauen "monitoren" wird und dass sie sicherstellen wird, dass die Konsumenten die notwendige Information bekommen (Chris Marsden hat das so auf den Punkt gebracht: "the market's not working, consumers don't read - so let's give them even more info they won't read..."). In ihrer Stellungnahme übt Kommissarin Kroes auch - dezent versteckt hinter einem Link - Kritik am Vorpreschen der Niederlande: 
"I also asked European national legislators and regulators to wait for better evidence before regulating on an uncoordinated, country-by-country basis that slows down the creation of a Digital Single Market." [Der Link führt auf die Website des niederländischen Parlaments mit den Änderungen des Telekommunikationsgesetzes]
Was auch immer also hinter dem nun kolportierten Schwenk der ÖVP in Sachen Netzneutralität steht: eine gesetzliche Neuregelung in Österreich würde ich nächster Zeit jedenfalls nicht erwarten. Im Übrigen sollte ich vielleicht noch anmerken, dass eine gesetzliche  Regelung, jedenfalls soweit sie über allgemeine Glaubenssätze hinausgehen soll, auch legistisch alles andere als einfach ist (ganz abgesehen von der Frage der Vereinbarkeit mit Unionsrecht).
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*) BEREC wurde von Anders Comstedt übrigens (in einem Kommentar auf dem Blog von Susan Crawford) so beschrieben: "one more illustrous congregation of yet another group of frequent fliers where there is always room for a next meeting and for the slowest, most incumbent friendly regulator to water out anything spicy."

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