Blog zum österreichischen und europäischen Recht der elektronischen Kommunikationsnetze und -dienste
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Sunday, May 29, 2011
Vermischte Lesehinweise (31): Internetfreiheit, Netzneutralität ua
Sollte es ein "Grundrecht Internetfreiheit" geben?
Eine interessante Diskussion dazu entwickelt sich derzeit in Deutschland, angestoßen in dem von Google initiierten "Multistakeholder Internet Dialog" mit dem ersten Diskussionspapier "Grundrecht Internetfreiheit" (als pdf-Version); in der "Proposition" von Bernd Holznagel und Pascal Schumacher heißt es: "Es ist an der Zeit, dass die Verfassungsinterpretation anerkennt, dass das Internet eine Zäsur in der Geschichte der Medien markiert, die nicht durch Traditionen überspielt werden darf. Zu sehr unterscheiden sich die Funktionsbedingungen demokratischer Willensbildung im Internet von denen der analogen Welt. Mit der Anerkennung einer Freiheit der Internetdienste kann das Verfassungsrecht endlich im 21. Jahrhundert ankommen."
Wie Netzneutralität im Mobilbereich schon derzeit durch "creative pricing" umgangen wird, kann man hier nachlesen; ein gutes Schaubild, wie sich ein Anbieter von "intelligent IP service optimization" die Entwicklung zu "personalisierten" (= nicht neutralen) Verrechnungsmodellen vorstellt, ist hier zu sehen.
Den jüngsten praktischen KPN-Vorstoß gegen die Netzneutralität (und die Reaktion der niederländischen Regierung darauf) schildert arstechnica
Aber Fragen der Netzneutralität werden vor allem von Ökonomen behandelt, und auch Jörn Kruse kommt in seinem Aufsatz "Soll die Neutralität des Internet staatlich reguliert werden?"- wiedereinmal - zum Ergebnis, dass "staatliche Regulierung der Netzneutralität des Internet überflüssig und schädlich ist." Seine Auffassung: "Die ökonomisch optimale Lösung besteht in einer pretialen Priorisierung (Priority Pricing), bei der die Anbieter für eine bevorzugte Behandlung a priori zahlen können, so dass ihre Datenpakete bei Überlast nach Maßgabe der gewählten Priorität abgewickelt werden."
Falter-Chefredakteur Armin Thurnher, der immerhin schon einmal eingeräumt hat, dass das Internet doch bleiben kann (zur Vorgeschichte zB hier, hier und hier), hat sich im letzten Falter (nicht online verfügbar) wieder einmal gegen Anonymität im Internet ausgesprochen und ein "Vermummungsverbot" gleichermaßen für Hooligans und anonyme Poster gefordert; die Anonymität, so Thurnher, diene in den meisten Fällen "nur der Verschleierung der Identität, um im Schutz der Vermummung Straftaten begehen zu können, Gewalttaten, Schmähungen, Verleumdungen undsoweiter."
Vor diesem Hintergrund muss ich auch auf einen zwar im Detail US-spezifischen, aber im Grundsätzlichen wichtigen Beitrag von Nassim Nazemi hinweisen: DMCA § 512 Safe Harbor for Anonymity Networks Amid a Cyber-Democratic Storm: Lessons from the 2009 Iranian Uprising. Conclusio: "Without a doubt, anonymity comes at a price and anonymity technology may frustrate the efforts of creative artists who endeavor to enforce their copyrights. But set on a scale, our interests in protecting the right to receive information, protecting politically expressive conduct online, and nurturing nascent democratic cultures by allowing the Internet to flow freely in places like Iran outweighs the risk that Tor-like anonymity networks will facilitate infringement."
Dass auch Twitter Daten "anonymer" Nutzer herausgibt, wenn von deren Account Verleumdungen ausgehen, zeigt übrigens diese Geschichte.
Auch wer sich für die konkreten britischen Probleme zur "libel reform" überhaupt nicht interessiert, sollte jedenfalls die Rede von Alan Rusbridger vom Guardian über die "long, slow road to libel reform" lesen, in der er über die medienrechtlichen Prozesse gegen den Guardian berichtet ("a few highlights of my life with lawyers"), über die Rolle von Selbstregulierung und die Abwägung von öffentlichem Interesse und Schutz der Privatsphäre.
Ein Anschauungsbeispiel für das oft merkwürdige Verständnis britischer Tabloids von Privatsphäre ergab sich nur wenige Tage nach der Rede Rusbridgers nach einer gerichtlichen Verfügung, die einer ehemaligen Big Brother-Teilnehmerin untersagte, einen Fußballer, mit dem sie eine Affäre hatte, zu nennen. Die Anzahl der Blog- und Zeitschriftenbeiträge dazu ist unüberschaubar, als Einstieg empfiehlt sich die "superinjunctions"-Übersichtsseite des Guardian.
Die EU-Kommission hat jüngst ihr "strategisches Konzept für Rechte des geistigen Eigentums, um Kreativität und Innovation zu fördern", präsentiert (Pressemitteilung, Mitteilung der Kommission). "Ganz wie es für die EU typisch ist, kombiniert das Papier sterbenslangweilige Bürokratie mit einigen Inhalten, die wirklich spannend sind", schreibt Simon Möller dazu in einem lesenswerten Übersichtsbeitrag auf Telemedicus; siehe zum Thema auch die Notiz auf urheberrecht.org mit weiteren Links.
Dass die Kommissions-Urheberrechtsstrategie ein neuer "crackdown" gegen Musikpiraterie sein soll, berichtet die BBC, die auch einen Vergleich mit dem britischen Expertenbericht zum Urheberrecht (Hargreaves-Report) anstellt. In diesem Bericht heißt es übrigens: "Could it be true that laws designed more than three centuries ago with the express purpose of creating economic incentives for innovation by protecting creators' rights are today obstructing innovation and economic growth? The short answer is: yes." (siehe dazu auch den Bericht im Guardian)
Die RTR-GmbH hat den jährlichen Tätigkeitsbericht der Schlichtungsstelle veröffentlicht (Pressemitteilung dazu): 83 % der Verfahren betrafen Mobiltelefonie; von 4.500 Verfahren insgesamt konnten 35 % mit einer Einigung beendet werden; markant angestiegen sind Verfahren zu mobilen Datendiensten mit häufig sehr hohen Streitwerten. Wörtlich heißt es in der Pressemitteilung: "42 % bzw. 1.882 der im Jahr 2010 bei der RTR-Schlichtungsstelle eingebrachten Verfahren entfallen auf T-Mobile, auf die somit der größte Anteil der Verfahren entfällt. Auf dem 2. Platz liegt mit 29 % bzw. 1.275 Verfahren A1 Telekom Austria. Positiv hervorzuheben sind Tele2 und UPC mit einer geringen Verfahrensanzahl und einer sehr hohen Kulanzbereitschaft."
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