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Wednesday, April 06, 2011

EGMR: Bestrafung eines türkischen Verlegers wegen kritischer Buchveröffentlichung - Verstoß gegen Art 10 EMRK

Mit Urteil vom 5. April 2011 im Fall Fatih Taş gegen Türkei (Appl. no. 36635/08) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wieder einmal eine Verletzung des Art 10 EMRK durch die Türkei wegen einer Buchveröffentlichung festgestellt (vergleiche zB aus der letzten Zeit die Urteile vom 08.06.2010, Sapan und vom 15.02.2011, Çamyar und Berktaş;
im Blog siehe dazu hier). Wieder einmal spielt die Angelegenheit vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen dem Sicherheitsapparat und der PKK, konkret ging es um ein Buch, das von einem jungen Verleger (und damals Journalismusstudent an der Universität Istanbul) veröffentlicht wurde. Ein unter Pseudonym schreibendes Ex-Mitglied der PKK berichtete darin über seine Anwerbung durch staatliche Agenten und den nachfolgenden Kampf gegen den Terrorismus, wobei Namen und Funktionen von (ex-)PKK-Mitgliedern, Spitzeln, Offizieren und Soldaten genannt wurden, insbesondere auch von X und Y, einem Kommandanten und einem Mitglied einer geheimdienstlichen Einheit. Der Verleger wurde wegen dieser Veröffentlichung, insbesondere der Veröffentlichung der Namen von X und Y, zu einer Geldstrafe von rund 250 € verurteilt. Die Veröffentlichung der Namen würde die betroffenen Personen zur Zielscheibe von Terroristen machen; außerdem wurde das gesamte Buch als Aufruf zur Gewalt beurteilt.

Der EGMR stellte fest, dass die Identität von X schon aufgrund eines anderen Berichts bekannt war; Y war bereits 1993 verstorben. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung waren die im Buch geäußerten Vorwürfe schon öffentlich bekannt. Schließlich waren die Sprache zwar heftig, aber nicht als Aufruf zu Hass oder Gewalt zu beurteilen. Vor diesem Hintergrund stellte der EGMR daher einstimmig eine Verletzung des Art 10 EMRK fest.

Es wird wohl nicht der letzte solche Fall sein: gerade heute wurde bekannt, dass ein Gericht in Istanbul die Beschlagnahme eines noch unfertigen Werks des Journalisten Ahmet Şık angeordnet hat, das sich kritisch mit dem Einfluss einer islamischen Gruppe innerhalb der Polizei auseinandersetzt (mehr dazu hier und hier).

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