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Tuesday, March 22, 2022

Überwachen, Blocken, Delisten - Zur Reichweite der EU-Sanktionen gegen RT und Sputnik (Langversion)

Dies ist eine längere - am Ende auch um einen Exkurs zur österreichischen Situation ergänzte - Fassung meines zunächst auf dem Verfassungsblog erschienen Beitrags. Wer weniger Zeit hat, bitte auf Verfassungsblog lesen! 
[Nachtrag: ein Update zu diesem Post gibt es in diesem Blogbeitrag vom 9. Juni 2022; eine Übersicht über das Urteil des EuG vom 27. Juli 2022 betreffend die Sanktionen gegen RT France bringt dieser Blogbeitrag vom 29. Juli 2022, ein weiteres Update zu den Sanktionen im Blogbeitrag vom 30. Jänner 2023]

Die Verordnung (EU) 2022/350 des Rates vom 1. März 2022, [1] mit der Sanktionen betreffend Russia Today (RT) und Sputnik verhängt wurden, geht – anders als ersten Reaktionen zufolge – über ein Sendeverbot für diese Kanäle weit hinaus: Internetzugangsanbieter werden zu Websitesperren verpflichtet, Suchmaschinen müssen ihre Suchergebnisse bereinigen, und Social Media-Plattformen wird, abweichend von Art. 15 E-Commerce-Richtlinie, eine allgemeine Überwachungspflicht auferlegt. Damit betritt die EU-Sanktionspolitik Neuland – nicht nur, weil sich diese restriktiven Maßnahmen insbesondere auch auf die Verbreitung dieser Kanäle im Internet auswirken. 

Zwischen Routine und Neuland

EU-Sanktionen sind in den letzten Jahren ein wenig zum bürokratischen Routineinstrument geworden. Der Rat hat sich schon 2004 auf Grundprinzipien für den Einsatz restriktiver Maßnahmen (Sanktionen) geeinigt, und die zuletzt 2018 überarbeiteten Sanktionsleitlinien, ergänzt durch das Ratsdokument über „Vorbildliche Verfahren der EU für die wirksame Umsetzung restriktiver Maßnahmen“, haben zu einer weitgehend standardisierten Vorgangsweise bei der Beschlussfassung und Umsetzung der jeweils konkret verhängten Maßnahmen beigetragen.  Es war daher wenig überraschend, dass nach dem Angriff auf die Ukraine die klassischen Sanktionen (Einreiseverbote, Wirtschaftssanktionen, Waffenembargos) routiniert hochgefahren wurden. Die regelmäßig aktualisierte konsolidierte Sanktionenliste wuchs rasch an, in der pdf-Version auf aktuell 679 Seiten (Stand 18.3.2022), wobei zwischen Afghanistan und Zimbabwe die Eintragungen zu Belarus und zur Russischen Föderation sprunghaft zunahmen. Im Handling dieser Sanktionen sind die Mitgliedstaaten ebenso wie die typischerweise betroffenen Unternehmen erfahren: die Sanktionenlisten werden in Datenbanken eingepflegt und bei Grenzkontrollen und im Handels-, Dienstleistungs- und Zahlungsverkehr berücksichtigt.

Und dann kam – erkennbar ohne lange Vorbereitung – die Verordnung (EU) 2022/350 des Rates vom 1. März 2022, mit Sanktionen betreffend die englisch-, deutsch-, französisch- und spanischsprachigen Inhalte von RT (Russia Today) und – ohne sprachliche Differenzierung – für die Inhalte von Sputnik. Diese Maßnahme passt auf den ersten Blick nicht in das bisherige Bild von Wirtschafts- und Finanzsanktionen, und sie hat – weil sie im Ergebnis ein bisher in der EU empfangbares Medienangebot „ausschaltet“ – auch unter dem Gesichtspunkt der Medienfreiheit größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dabei stand vor allem das „Verbot“ für RT und Sputnik im Vordergrund, während meines Erachtens die heikleren Fragen eher in der Abgrenzung der konkreten Reichweite dieser neuen Sanktionen – vor allem im Hinblick auf Internetdienstleister und Kommunikationsplattformen – liegen.
       

Es geht nicht nur ums Fernsehen

Entgegen dem mancherorts entstandenen Eindruck werden durch die Verordnung nämlich nicht die Rundfunkprogramme RT und Sputnik als solche „verboten“. Die restriktiven Maßnahmen richten sich – jedenfalls formal – gegen die juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen, die hinter diesen Bezeichnungen stehen[2] und bestehen aus (1) einem Verbot, von RT und Sputnik stammende Inhalte zu senden, (2) einem Verbot, das Senden dieser Inhalte zu ermöglichen, zu erleichtern oder sonst dazu beizutragen (3) der Anordnung, dass Rundfunklizenzen und Genehmigungen (also behördliche Entscheidungen) ebenso wie Übertragungs- und Verbreitungsvereinbarungen (private Verträge) ausgesetzt sind, und (4) einem Verbot, wissentlich und vorsätzlich an Aktivitäten zur Umgehung der Verbote teilzunehmen. 

Das erste Verbot (Inhalte zu senden, die von RT und Sputnik stammen[3]) richtet sich nicht allein gegen das technische Ausstrahlen[4] der Rundfunkprogramme von RT und Sputnik, sondern untersagt (auch und vor allem) die Übernahme von RT- und Sputnik-Inhalten in andere Rundfunkprogramme. Neben Sender(netz)betreibern sind daher auch Rundfunkveranstalter Adressaten der Norm. Dabei geht es selbstverständlich um Hörfunk- ebenso wie um TV-Inhalte; die von Baade im Verfassungsblog aus der englischen Sprachfassung der AVMD-RL abgeleitete Einschränkung auf Fernsehinhalte überzeugt schon deshalb nicht, weil das Verbot dann im Hinblick auf das Hörfunkprogramm Sputnik ins Leere laufen würde: es kann dem Rat nicht unterstellt werden, eine ausdrücklich – laut Anhang XV zur Verordnung – sanktionierte Einrichtung durch den Text der eigentlichen Sanktionsbestimmung wieder ausnehmen zu wollen.[5]

Zudem übergeht der – auch von Ferreau im Verfassungsblog unternommene – Versuch, Begriffe der Verordnung des Rates über restriktive Maßnahmen anhand der AVMD-RL auszulegen, den völlig anderen systematischen Zusammenhang im Sanktionenrecht, wo es darum geht, eine bestimmte ökonomische Aktivität möglichst lückenlos zu erfassen. Und schließlich ist auch der Hinweis Baades auf die Aussetzung von Rundfunklizenzen und -Genehmigungen kein Indiz dafür, dass nur Aktivitäten untersagt werden sollten, die derartige Lizenzen erfordern würden. Die Aussetzung betrifft zudem Genehmigungen, die RT und Sputnik selbst innehaben, während sich das Verbot des Sendens von RT- und Sputnik-Inhalten gerade nicht an RT und Sputnik richtet, sondern an andere Rundfunkveranstalter und Netzbetreiber. 

Die Berichterstattung über RT und Sputnik durch andere Medien, auch unter Verwendung von Beispielen, ist nicht als Senden (Verbreiten) von RT- bzw. Sputnik-Inhalten anzusehen, wenn sich der jeweilige Verbreiter diese Inhalte nicht zu eigen macht und damit das Verbreitungsverbot zu umgehen sucht. Hier wird man sich wohl auch an der urheberrechtlichen Rechtsprechung zum Zitatrecht orientieren können, wo es auch darauf ankommt, ob eine Verbindung mit eigenen Gedanken hergestellt oder das zitierte Werk bloß um seiner selbst willen gezeigt wird.
      

Erleichtern, Ermöglichen, Beitragen: das Verbot kann viele treffen

Das zweite Verbot richtet sich gegen eine Art „Beitragstäterschaft“, die jenen vorzuwerfen ist, die das Senden[6] ermöglichen oder erleichtern, oder die auf andere Weise dazu beitragen, dass die Inhalte „gesendet“ werden. Dabei stellt die Verordnung nicht bloß auf die Erleichterung oder Ermöglichung des Sendens im engeren Sinne ab, sondern macht durch einen weiteren Halbsatz klar, dass auch „die Übertragung oder Verbreitung über Kabel, Satellit, IP-TV, Internetdienstleister, Internet-Video-Sharing-Plattformen oder -Anwendungen“ verboten ist. Auch hier geht es nicht bloß um die (unveränderte, vollständige) Übertragung oder Verbreitung der RT- und Sputnik-Programme, sondern um die Verbreitung aller Inhalte, die von RT und Sputnik stammen. Es ist daher egal, ob die Inhalte in einem „Programm“ – also im Sinne der AVMD-RL „auf der Grundlage eines Sendeplans“ – verbreitet werden, oder ob nur einzelne Beiträge oder Sendungen auf Abruf bereitgestellt werden, wie dies typischerweise auf Video-Plattformen oder mit Apps der Fall ist. 

Um dieses weitreichende Verbot etwas einzuhegen, nimmt die Verordnung allerdings nicht jedermann in Pflicht, sondern nur „Betreiber.“ Dieser Begriff wird nicht definiert und findet sich auch nicht bei anderen Sanktionen in der Verordnung. Zu verstehen ist der Begriff auch nicht mit einer telekommunikations- oder medienrechtlichen Herleitung, denn weder im europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (EKEK) noch in der AVMD-RL finden sich dafür passende Definitionen: Der EKEK versteht unter Betreibern bloß die Netzbetreiber, nicht aber zB die Anbieter von Internetzugangsdiensten, und die AVMD-RL kennt den Begriff des Betreibers gar nicht. Der systematische Zusammenhang und die Zielsetzung der Verordnung, die im Wesentlichen sicherstellen will, dass die Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Union durch Propagandaaktionen der unter Kontrolle der Führung der Russischen Föderation stehenden Medien (vgl. Erwägungsgrund 8 zur Verordnung (EU) 2022/350) abgestellt wird, sprechen dafür, den Betreiber-Begriff weit zu verstehen. Es liegt nahe, „Betreiber“ (englisch: „operators“, frz. „opérateurs“) im hier maßgeblichen Zusammenhang als Kurzform von „Wirtschaftsakteur“ (englisch: „economic operators“, frz. „opérateurs économiques“) zu verstehen. Wie beim Einsatz dieses Begriffs insbesondere im Produktrecht der Union geht es nämlich auch hier darum, möglichst alle Formen wirtschaftlicher Tätigkeit in Bezug auf die zu regelnde Materie zu erfassen – in Abgrenzung zu bloß privaten, nicht als Teilnahme am Wirtschaftsleben zu verstehenden Tätigkeiten. [Ergänzung 14.4.2022: siehe nun auch die FAQs der Kommission zu diesen Sanktionen, die in die hier vertretene Richtung gehen: "the prohibition applies to any person or entity or body exercising a commercial or professional activity that broadcasts or enables, facilitates or otherwise contributes to broadcast the content at issue."  (Hervorhebung hinzugefügt).]
  
Es kommt daher nicht darauf an, welche konkrete wirtschaftliche Tätigkeit ein „Betreiber“ ausübt, und wie diese Tätigkeit sonst regulatorisch einzustufen ist (etwa als Dienst der Informationsgesellschaft, Anbieten von Kommunikationsdiensten, audiovisueller Mediendienst, usw.), solange er durch diese Tätigkeit das Senden oder Verbreiten von RT- und Sputnik-Inhalten ermöglicht oder erleichtert oder auf andere Weise dazu beiträgt. Naheliegende Beispiele sind die in der Verordnung ausdrücklich genannten „Internetdienstleister“ oder Video-Sharing-Plattformen, aber es könnten zB auch Hersteller oder Händler von Mobiltelefonen sein, die durch das Vorinstallieren von Apps, mit denen RT- oder Sputnik-Inhalte gestreamt werden können, deren Verbreitung erleichtern. Lediglich das private Verbreiten von Videos oder Hörfunkaufnahmen mit RT- oder Sputnik-Inhalten, auch wenn es zB durch Hochladen auf Video-Plattformen geschieht, wäre nach diesem Verständnis nicht vom Verbot des Art. 2f Abs. 1 der Verordnung erfasst.[7]

Allgemeine Überwachungspflicht auch für Intermediäre 

Ein derart weites Verständnis des „Betreiber“-Begriffs liegt auch einem Mail zugrunde, das von Google in der Lumen-Datenbank veröffentlicht wurde. Dabei handelt es sich nicht um eine offizielle Position der Kommission, sondern um ein offenbar auf Beamtenebene verfasstes Schreiben (das an die Unterzeichner des Code of Practice on Disinformation ergangen sein dürfte), in dem Suchmaschinenbetreiber und Social Media-Plattformen als „operators“ (Betreiber) qualifiziert werden, die von der Verordnung umfasst sind. Dieses Schreiben aus der Kommission unterlegt auch den Worten „ermöglichen, erleichtern und auf andere Weise beitragen“ – meines Erachtens zutreffend abgeleitet aus dem Zweck der Sanktionsregeln – ein sehr weites Begriffsverständnis. Suchmaschinen spielten eine entscheidende Rolle in der Verbreitung von Inhalten, so die (unter anderem auf das EuGH-Urteil Google Spain gestützte) Argumentation, und würden daher, wenn sie RT und Sputnik nicht „delisten“ (aus Suchergebnissen entfernen), den Zugang der Öffentlichkeit zu Inhalten von RT und Sputnik erleichtern. 

Ähnliches gelte für Social Media: Auch diese seien „Betreiber“ im Sinne der Verordnung und müssten verhindern, dass User – egal ob private User oder RT und Sputnik selbst – Inhalte von RT und Sputnik verbreiten. Accounts von RT und Sputnik müssten schon deshalb suspendiert werden, da es sich dabei um Verbreitungsvereinbarungen im Sinne von Art. 2f Abs. 2 der Verordnung handle. Auch Postings privater User mit Inhalten von RT und Sputnik dürften nicht veröffentlicht werden; bereits veröffentlichte Beiträge seien zu löschen. 

Das Mail aus der Kommission bringt auch zum Ausdruck, dass die Anforderungen an Social Media-Betreiber in einem Spannungsverhältnis zu Art. 15 der E-Commerce-RL stehen, aber der Entschluss, in der Verordnung von Art. 15 der E-Commerce-RL abzuweichen („to fully depart … from the E-commerce Directive“), sei bewusst erfolgt. Die Kommission dürfte also die Verordnung so auslegen, dass damit eine aktive Überwachungspflicht auch für Hosting-Anbieter verbunden ist – eine Verpflichtung, wie sie die Mitgliedstaaten nach Art. 15 der E-Commerce-RL den Anbietern nicht auferlegen dürfte. (Offen bleibt – weil nicht Gegenstand des Mails –, ob die Kommission dies auch für „mere conduit“, also bloße Durchleitung im Sinne des Art. 12 E-Commerce-RL ähnlich sieht). 

Aus dem Blickwinkel des Sanktionenrechts ist all das folgerichtig: Wenn es Unternehmern verboten ist, eine bestimmte Tätigkeit zu ermöglichen, zu erleichtern oder zu ihr beizutragen, dann ist selbstverständlich jeder Unternehmer auch dazu verpflichtet sicherzustellen, dass durch seine geschäftlichen Aktivitäten keine derartige Ermöglichung, Erleichterung oder ein sonstiger Beitrag bewirkt wird. Im Außenwirtschaftsrecht ist es anerkannt, dass Unternehmen dazu angehalten sind, „ein innerbetriebliches Compliance-Programm zur Einhaltung der Vorschriften des Außenwirtschaftsrechts zu implementieren“ (vgl. etwa das BAFA-Merkblatt Firmeninterne Exportkontrolle; § 49 österr. Außenwirtschaftsgesetz spricht von „internen Sicherungsmaßnahmen“). In ähnlicher Weise obliegt es daher zB den Suchmaschinen und Social Media-Plattformen, ihre Risken im Hinblick auf die Verbreitung sanktionierter Inhalte zu analysieren und interne Prozesse aufzusetzen, um im Rahmen des Möglichen diese Risken zu minimieren und damit gegebenenfalls im Streitfall den Nachweis mangelnden Verschuldens für eine dennoch festgestellte Übertretung der Sanktionsbestimmungen führen zu können. 

Dabei gilt: Je näher an der Gefahr, desto höher die Anforderungen an die Compliance. Große Kommunikationsplattformen – die im Übrigen mit urheberrechtsverletzenden oder terroristischen Inhalten (besser oder schlechter) umzugehen gelernt haben – laufen ein hohes Risiko, dass sie zur Verbreitung von sanktionierten RT- und Sputnik-Inhalten genutzt werden, und müssen daher auch besondere Vorsorge- und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen setzen, wollen sie nicht Gefahr laufen, den restriktiven Maßnahmen gegenüber RT und Sputnik zuwiderzuhandeln. Ähnliches gilt für Suchmaschinenbetreiber, die in diesem Zusammenhang auf Erfahrungen aus dem Umgang mit anderen Rechtspflichten – insbesondere jenen zum „Recht auf Vergessenwerden“ – zurückgreifen können. 
      

Websperren

Bei den in der Verordnung ausdrücklich erwähnten „Internetdienstleistern“ muss man differenzieren: Jene, die in direkten Vertragsbeziehungen zu RT und Sputnik stehen, weil sie etwa deren Angebote hosten oder die nötige Anbindung herstellen, sind jedenfalls Betreiber im Sinne der Verordnung, die die eine Verbreitung ermöglichen. Internetzugangsanbieter, die keinen Vertrag mit RT oder Sputnik haben, stellen anderen Personen Zugang zum Internet bereit und tragen damit dazu bei, dass diese gegebenenfalls Inhalte von RT und Sputnik erreichen können. Auch diese reinen Access Provider müssen daher Maßnahmen ergreifen, um die Erreichbarkeit der RT- und Sputnik-Inhalte möglichst zu verhindern. Dazu ist es erforderlich, den Zugang zu den bekannten Websites dieser Angebote (bzw. zu Websites, auf die RT und Sputnik allenfalls ausweichen) zu sperren. Eine Beeinträchtigung der Netzneutralität im Sinne der Verordnung (EU) 2015/2120 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet ist damit nicht verbunden, denn Art. 3 Abs 3. Buchstabe a. dieser Verordnung erlaubt es, bestimmte Inhalte, Anwendungen oder Dienste zu blockieren, soweit und solange es erforderlich ist, um Gesetzgebungsakten der Union zu entsprechen (siehe in diesem Sinne auch eine Stellungnahme von BEREC).
      

Und die Grundrechte? 

Vorweg: die Verordnung wurde auf der Grundlage eines vorangegangenen Beschlusses im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP, Titel V Kapitel 2 EUV) auf der Kompetenzgrundlage des Art. 215 AEUV erlassen und ist ein Instrument der Außenwirtschaftspolitik, nicht der Medienregulierung. 

Die Stammfassung der Verordnung aus dem Jahr 2014 war bereits Gegenstand mehrerer EuGH-Urteile (28.3.2017, C-72/15 Rosneft; 25.6.2020, C‑731/18 P, Vnesheconombank/Rat; 25.6.2020, C-729/18 P, VTB Bank/Rat; 17.9.2020, C‑732/18 P Rosneft/Rat). Im Urteil Rosneft betonte der EuGH, dass die geltend gemachten Grundrechte (unternehmerische Freiheit nach Art. 16 GRC, Eigentumsrecht nach Art. 17 GRC) nicht uneingeschränkt gelten und ihre Ausübung Beschränkungen unterworfen werden kann, die durch im Allgemeininteresse liegende Ziele der Union gerechtfertigt sind – sofern die Beschränkungen tatsächlich diesen im Allgemeininteresse liegenden Zielen entsprechen und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antasten würde. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung führte in diesen Fällen zum Ergebnis, dass die Sanktionen rechtmäßig waren. 

Hervorzuheben ist, dass der EuGH dem Rat wegen „des breiten Spektrums der in Art. 3 Abs. 5 EUV und Art. 21 EUV sowie den speziellen Vorschriften über die GASP, insbesondere den Art. 23 und 24 EUV, genannten Ziele und Felder der GASP“ bei der Festlegung des Gegenstands der restriktiven Maßnahmen einen großen Spielraum einräumt (Rosneft Rn. 88), der auch auf die diese Maßnahmen für die Union durchführende Verordnung durchschlägt. Eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme ist nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des vom zuständigen Organ verfolgten Ziels offensichtlich ungeeignet ist (Rosneft, Rn. 146). Vor diesem Hintergrund haben auch die gegen RT und Sputnik verhängten Maßnahmen eine gute Chance, die Verhältnismäßigkeitsprüfung vor dem EuGH jedenfalls im Hinblick auf Art. 16 und 17 GRC zu bestehen. 

Ähnliches gilt auch für die sekundär betroffenen Dienstleister wie Netzbetreiber, Suchmaschinen, „Internetdienstleister“ oder Kommunikationsplattformen: Dass restriktive Maßnahmen definitionsgemäß Auswirkungen haben, die die Eigentumsrechte und die freie Berufsausübung beeinträchtigen, und dadurch Parteien schädigen, die für die Situation, die zum Erlass der Sanktionen geführt hat, nicht verantwortlich sind, hat der EuGH schon in seinem Urteil vom 30.7.1996, C-84/95, Bosphorus ausgesprochen und darauf im Urteil Rosneft wieder verwiesen. Dieser Umstand allein führt also nicht zur Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs.  

Worin sich die hier zu behandelnde restriktive Maßnahme allerdings von klassischen Wirtschaftssanktionen unterscheidet, ist der Umstand, dass Medieninhalte betroffen sind und damit die durch Art. 11 GRC gewährleistete Freiheit, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Ob tatsächlich ein Eingriff vorliegt, ist aber bei RT und Sputnik keineswegs gewiss: Folgt man den Erwägungsgründen der Verordnung, läge es nahe, die Frage des möglichen Missbrauchs der Rechte nach Art. 54 GRC zu prüfen (vgl. zur parallelen Bestimmung des Art. 17 EMRK die Zurückweisungsentscheidung des EGMR vom 17.4.2018, Roj TV A/S, 24683/14, mit der die auf Art. 10 EMRK gestützte Beschwerde dieses Rundfunkveranstalters gegen den Lizenzentzug unter Berufung auf Art. 17 EMRK zurückgewiesen wurde).  

Netzsperren oder die Verhinderung des Zugangs zu bestimmten Inhalten greifen aber jedenfalls in die durch Art. 11 GRC geschützte Rechtsstellung der Nutzer ein, denen der Zugang verwehrt wird (vgl. zu einer gerichtlich angeordneten Website-Sperre: EuGH 27.3.2014, C-314/12, UPC Telekabel Wien [siehe im Blog dazu hier]). Diese grundrechtlich geschützte Position der Nutzer hätte der EuGH daher bei einer Prüfung der Gültigkeit der Verordnung[8] in die Abwägung miteinzubeziehen. 
 

Ausblick

Sanktionen sind ein scharfes Schwert. Sie müssen es auch sein, um die gewünschte Wirkung zu zeigen. Als Maßnahme der Außen- und Sicherheitspolitik liegen der Verhängung von Sanktionen politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen zu Grunde, bei denen der Rat komplexe Würdigungen vornehmen muss und daher über einen großen Wertungsspielraum verfügt (vgl. EuGH 1.3. 2016, C‑440/14 P, National Iranian Oil Company/Rat, Rn. 77). Dass im Fall der Maßnahmen gegen RT und Sputnik Medieninhalte betroffen sind, bringt eine neue Dimension ins Spiel – auch weil damit viele Unternehmen in der EU, die sonst kaum mit außenwirtschaftlichen Problemstellungen konfrontiert sind, plötzlich Vorkehrungen treffen müssen, um die restriktiven Maßnahmen umzusetzen und Verstöße in Zukunft zu vermeiden. 

Prämisse der verhängten restriktiven Maßnahmen ist, dass RT und Sputnik als staatlich kontrollierte Medien Teil einer Kampagne der Medienmanipulation und Verfälschung von Fakten sind, mit der die russische Strategie der Destabilisierung der Union und ihrer Mitgliedstaaten intensiviert wurde, und dass dies eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Union darstellt (Erwägungsgründe 6 bis 8 der Verordnung (EU) 2022/350). Hält diese Prämisse der Prüfung durch den EuGH stand, wird wohl auch der Aspekt, dass nun auch Medienangebote betroffen sind, nichts an der (grundsätzlichen) Zulässigkeit der Sanktionen ändern. 

Eine andere Frage ist, ob diese Sanktionen politisch klug sind. Dass mit diesen Maßnahmen kurz vor der umfassenden Neuregelung der Verantwortung von Intermediären und Plattformen mit dem Digital Services Act sozusagen im Vorbeigehen – wenn auch sachlich und zeitlich begrenzt – auch noch Art. 15 E-Commerce-RL faktisch ausgehebelt wird, macht die Sache in der rechtspolitischen Würdigung nicht besser. 
      

Exkurs: ein paar Worte zu Österreich

Die Sanktionen sind unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltendes Unionsrecht. Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung legen die Mitgliedstaaten für Verstöße gegen die Verordnung „Sanktionen fest und treffen die zur Sicherstellung ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“ In Österreich regelt das Sanktionengesetz die Durchführung völkerrechtlich verpflichtender Sanktionsmaßnahmen, einschließlich unmittelbar anwendbarer Sanktionsmaßnahmen der EU, „soweit diese nicht in einem anderen Bundesgesetz geregelt ist.“ Ein solches „anderes Bundesgesetz“ war bis jetzt (nur) das Außenwirtschaftsgesetz (im Hinblick auf restriktive Maßnahmen, die sich auf Güter beziehen). 

Das Sanktionengesetz stellt vor allem auf klassische Sanktionen ab, mit denen bestimmte Transaktionen oder Dienstleistungen verboten oder eingeschränkt werden, was sich auch in den (Verwaltungs-)Strafbestimmungen widerspiegelt. Dort wird die Abgrenzung zwischen gerichtlicher Strafbarkeit und Verwaltungsübertretung am Wert der Transaktion festgemacht (die Grenze liegt bei Rechtsgeschäften über Vermögensbestandteile bzw. bei Dienstleistungen jeweils bei 100 000 €: was darüber ist, ist gerichtlich strafbar). Für die Anwendung bei den Sanktionen betreffend RT  und Sputnik scheint das nur begrenzt sinnvoll, weil - abgesehen von Verbreitungsvereinbarungen - oft kein entsprechender Wert der Transaktion oder Dienstleistung festzustellen sein wird). 

Anlässlich der Behandlung einer Änderung des KommAustria-Gesetzes und des Digitalsteuergesetzes hat der Verfassungsausschuss des Nationalrats daher am 9.3.2022 einen selbständigen Antrag (nach § 27 GOG) für eine Änderung des Bundesgesetzes über audiovisuelle Medien (AMD-G) beschlossen. Mit dieser Änderung soll - als lex specialis zum Sanktionengesetz - eine neue Verwaltungsstrafbestimmung geschaffen werden, nach der eine Verwaltungsübertretung begeht, wer entgegen unmittelbar anwendbaren Sanktionsmaßnahmen der EU 
  1. als Anbieter eines Kommunikationsdienstes einen audiovisuellen Mediendienst oder ein Radioprogramm überträgt oder dies ermöglicht, erleichtert oder auf andere Weise dazu beiträgt,
  2. als Hörfunkveranstalter nach dem PrR-G oder als Mediendiensteanbieter Sendungen, Sendereihen oder Teile von Sendungen von ausländischen Programmen übernimmt oder dies ermöglicht, erleichtert oder auf andere Weise dazu beiträgt,
  3. als Video-Sharing-Plattformanbieter Inhalte (Sendungen, Sendungsteile oder nutzergenerierte Videos) ausländischer Mediendiensteanbieter oder Radioveranstalter bereitstellt oder dies ermöglicht, erleichtert oder auf andere Weise dazu beiträgt, oder
  4. in sonstiger Weise wissentlich dazu beiträgt, die Umgehung dieser Sanktionsmaßnahmen zu bezwecken oder zu bewirken.

Diese Bestimmungen stellen in den Z 1 bis 3 auf Kommunikationsdiensteanbieter (also zB Internetzugangsanbieter), Hörfunkveranstalter, Mediendiensteanbieter und Video-Sharing-Plattformen ab und decken damit wohl den Großteil der verpflichteten Unternehmen ab. Nicht erfasst wären Suchmaschinen und Social-Media-Plattformen, bei denen es sich nicht um Video-Sharing-Plattformen handelt. Angesichts der Erläuterungen zum Antrag ist davon auszugehen, dass mit dieser Novellierung des AMD-G Verwaltungsstrafbestimmungen für alle potentiellen Verstöße gegen die Verordnung (EU) 2022/350 geschaffen werden sollten, sodass für eine "subsidiäre" Anwendung des Sanktionengesetzes - auf Unternehmen, die von der Bestimmung im AMD-G nicht erfasst werden - wohl ausscheidet. Da die Hauptanwendungsfälle in der Praxis in Österreich aber ohnehin, Hörfunk-, Mediendienste- und Internetzugangsanbieter betreffen, solle dies in der Praxis kein relevantes Problem darstellen.

Verwaltungsstrafbehörde wird - aufgrund der Einfügung in das AMD-G - die KommAustria.  Der Antrag wird am 24.3.2022 im Plenum des Nationalrats behandelt. Das Gesetz soll am Tag nach der Kundmachung im BGBl in Kraft treten. Bis dahin wären allfällige Verstöße noch von den Bezirksverwaltungsbehörden bzw. Landespolizeidirektionen nach dem Sanktionengesetz zu verfolgen. Die Verpflichtung der in der Verordnung angesprochenen „Betreiber“, die Sanktionen einzuhalten, ist natürlich nicht von der Beschlussfassung der AMD-G-Novelle abhängig. [Update 13./14.4.2022: die Novelle zum AMD-G wurde am 13.4.2022 im BGBl veröffentlicht (BGBl I 2022/55), sie ist seit 14.4.2022 in Kraft. Die KommAustria hat hier nähere Informationen - inklusive einer Liste jedenfalls unzulässiger Webangebote - veröffentlicht.]

PS: zusätzlich zu den Sanktionen gegen RT und Sputnik hat der Rat auch schon am 23.2.2022 persönliche Sanktionen gegen Маргарита Симоновна СИМОНЬЯН (Margarita SIMONYAN), Chefredakteurin des englischsprachigen Dienstes von Russia Today verhängt (Z 268 des Anhangs).

PPS: Die Sanktionen gegen RT und Sputnik sind auch nicht die ersten, die ihren Grund (auch) in staatlichen Desinformationskampagnen haben: die persönlichen Sanktionen gegen Brigadegeneral Zaw Min Tun, Leiter des Presseteams des Staatsverwaltungsrats und stellvertretender Informationsminister von Myanmar (Beschluss (GASP) 2021/1000), gründen sich unter anderem darauf, dass er „Verantwortung für die Propaganda der Junta und die Verbreitung von Desinformation in den staatlichen Medien“ trägt.  

Nachtrag: siehe auch den Bericht „The implementation of EU sanctions against RT and Sputnik“ der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle.

Update 30.03.2022: der Präsident des EuG hat heute dem Antrag von RT France auf einstweilige Anordnungen in der Rechtssache T-125/22 nicht stattgegeben. Er begründet dies im Wesentlichen mit der fehlenden Dringlichkeit, da RT France den drohenden Schaden nicht konkret mit Daten bzw. Zahlen belegt hat; auch die Interessenabwägung fällt zugunsten des Rates aus. Damit entfällt auch die Notwendigkeit, über die Frage zu entscheiden, ob die Klage den fumus boni juris für sich hat - der Beschluss gibt also keinen Hinweis auf die Frage, wie aussichtsreich die Klage ist. Allerdings wird im Beschluss auch mitgeteilt, dass über die Klage "aufgrund der außergewöhnlichen Umstände" im beschleunigten Verfahren entschieden wird (Quellen: Beschluss vom 30.3.2022; Pressemitteilung des EuG). [Update 04.10.2022: Das EuG hat die Nichtigkeitsklage von RT France mit Urteil vom 27.07.2022 abgewiesen, dazu im Blog hier; das dagegen von RT France erhobene Rechtsmittel ist beim EuGH zu C-620/22 P anhängig.]

Nachtrag 10.05.2022: Nikolaus Forgó hat mit mir am 22.04.2022 über die Sanktionen für seinen Video-Kanal "Ars boni" gesprochen; das Video ist hier zu finden. 
Ein kritischer Beitrag zu den Sanktionen von Dirk Voorhoof ist am 08.05.2022 auf Inforrm's Blog erschienen.

Nachtrag 25.05.2022: nun haben auch drei niederländische Internetserviceprovider - in einer sogenannten "Freedom of Information Coalition (FOIC)" - Klage auf Nichtigkeit der VO (EU) 2022/350 und des Beschlusses (GASP) 2022/351 beim EuG eingebracht (siehe zB hier; das Verfahren ist anhängig unter T-307/22, A2B Connect u.a./Rat).

Nachtrag 31.05.2022: Beim Europäischen rat wurde am 31.5.2022 Einigkeit über weitere Sanktionen gegen Russland erzielt, darunter sind auch Sanktionen gegen drei weitere staatliche Rundfunkunternehmen (laut Statement von Kommissionspräsidentin von der Leyen). Welche Sender das betrifft, ist noch nicht bekannt; nach früheren Berichten dürften es RTR Planeta, Russia 24 und TV Centre sein. Formal ist noch ein Beschluss des Rates im Rahmen der GASP und eine Verordnung des Rates erforderlich.

-----Fußnoten
[1]   Verordnung (EU) 2022/350 des Rates vom 1. März 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ABl L 65/1 vom 2.3.2022; wenn in der Folge von der „Verordnung“ die Rede ist, ist die Verordnung (EU) Nr. 833/2014 in der Fassung der Verordnung (EU) 2022/350 gemeint.
[2]   Sowohl RT als auch Sputnik sind vor allem Bezeichnungen für Fernseh- bzw. Hörfunkprogramme, teilweise auch – mit den entsprechenden Firmenzusätzen – für juristische Personen, die diese Programme produzieren oder verbreiten (zB RT France SAS, RT DE Productions GmbH). Die Verordnung verweist auf die „im Anhang XV aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen“; dort sind allerdings bloß RT – Russia Today English, RT – Russia Today UK, RT – Russia Today Germany, RT – Russia Today France, RT – Russia Today Spanish und Sputnik angeführt, ohne nähere Angaben, wie sie nach Punkt 21. der Sanktionsleitlinien „nach Möglichkeit“ zur Identifizierung von Vereinigungen, juristische Personen oder Organisationen enthalten sein sollten (zB Ort und Datum der Registrierung, Registrierungsnummer, Ort des Hauptsitzes). 
Auffallend ist auch, dass es keine Mitteilung an die betroffenen Organisationen gab, wie sie bei der Verhängung von restriktiven Maßnahmen gegen Personen und Organisationen vorgesehen ist (und wie sie auch im Zusammenhang mit der Erweiterung der Liste von restriktiven Maßnahmen gegen Personen und Organisationen im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Ukraine regelmäßig erfolgte). Meines Erachtens deutet dies darauf hin, dass der Sache nach auch der Rat davon ausgeht, dass eigentlich ein Verbot von Rundfunkprogrammen, nicht eine Sanktionierung der hinter diesen Programmen stehenden Organisationen verfügt werden sollte. 
Zwar ist im Sanktionenrecht – das oft gegen auch nicht rechtlich etablierte „Organisationen“ – wie Terrorgruppen – zum Einsatz kommt, kein strenger Maßstab an die formal korrekte Bezeichnung anzulegen. Aber ich halte diesen Punkt – Unklarheit darüber, was genau unter RT und Sputnik zu verstehen ist – eigentlich für die Achillesferse der Verordnung, die darüber entscheiden kann, ob die Sanktionen im Streitfall von den nationalen Behörden wirksam durchgesetzt werden können. So wird etwa das Sputnik-Programm im deutschsprachigen Bereich unter der Bezeichnung „SNA“ angeboten und in Österreich teilweise vom DAB-Radioveranstalter MEGA Radio SNA GmbH übernommen, in Deutschland auch von MEGA Radio GmbH, deren Programm in Hamburg empfangbar war. In beiden Fällen wurde die Programmübernahme inzwischen beendet; in Hamburg wurde nach Medienberichten das Programm vom Multiplex-Betreiber Media Broadcast aus dem Angebt genommen, in Österreich hat der Anbieter sein Programm abgeändert und übernimmt kein SNA-Programm mehr.
[3]   In der deutschen Sprachfassung ist vom Senden von Inhalten „durch“ RT und Sputnik die Rede; aus dem Vergleich mit anderen Sprachfassungen wird deutlich, dass es um das Senden von Inhalten geht, die von RT und Sputnik stammen (zB in der französischen Sprachfassung: „Il est interdit aux opérateurs de diffuser … de contenus provenant des personnes morales, entités ou organismes énumérés à l’annexe XV“, ähnlich eindeutig auch etwa in der englischen oder italienischen Sprachfassung).
[4]   Das Wort „senden“ (in der englischen Sprachfassung „to broadcast“, frz. „diffuser“) könnte man hier im engeren Sinne verstehen, als „Verbreitung […] unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen“ wie zB nach der deutschen Rundfunkdefinition in § 2 Abs. 1 RStV (bzw., in ähnlichen Worten, für Österreich Art. 1 Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks). Letztlich kommt es auf ein genaues Begriffsverständnis des Sendens hier aber schon deshalb nicht an, weil in der zweiten Fallvariante auch die Verbreitung via Satellit, Kabel und IP-TV ausdrücklich angesprochen wird und dort auch andere Verbreitungsformen für Inhalte, insbesondere über Plattformen und Apps, verboten werden.
[5]   Abgesehen davon wird der in der Verordnung verwendete Begriff „to broadcast“ in der AVMD-RL gar nicht definiert, dort wird bloß der „broadcaster“ (in der deutschen Sprachfassung: „Fernsehveranstalter“) definiert, allerdings in Abgrenzung zum Anbieter eines nichtlinearen Mediendienstes, und nachdem zuvor bereits durch die Verwendung des Begriffs „television broadcast“ eine Einschränkung auf Fernsehen erfolgt ist. Auch in der Praxis wurden etwa in Deutschland und Österreich Hörfunkangebote, die Inhalte von SNA (Sputnik) übernahmen, eingestellt bzw. geändert.
[6]   Die Verordnung spricht in ihrer deutschen Fassung von der „Sendung“; ich vermeide diesen Begriff, weil er in der AVMD-RL einen fest umrissenen Inhalt hat, der vom hier gemeinten abweicht.
[7]   Es könnte allenfalls, sofern es wissentlich und vorsätzlich erfolgt, als Umgehungshandlung im Sinne des Art. 12 der Verordnung beurteilt werden. Zudem unterliegt der Video-Plattform-Betreiber der Verordnung und wäre verpflichtet, das Hochladen zu verhindern.
[8]   RT France hat bereits Nichtigkeitsklage (verbunden mit einem Antrag auf einstweilige Maßnahmen) beim EuG erhoben (T-125/22); die Gültigkeit der Verordnung könnte auch im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren geprüft werden.