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Monday, March 30, 2009

Alles alte Alphatiere?

Bei der Club 2-Diskussion im ORF über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens letzte Woche (siehe dazu im Standard hier) konnte sich NDR-Direktorin Maria von Welser einen kleinen Seitenhieb auf Gerd Bacher, der wieder einmal alles besser wusste, nicht verkneifen: "natürlich, wenn so alte Alphatiere bei uns noch auftreten würden, weiß ich nicht ..." (der Rest ging irgendwie unter). Was von Welser wohl zum heute publik gewordenen "Proponentenkomitee" der Initiative "Rettet den ORF!" gesagt hätte? Einige Alphatiere sind da schon dabei, aber alt? Mit im Schnitt jugendlichen 67 Jahren sind die Proponenten (wiederum im Schnitt) immerhin jünger als der vom ORF bestellte Sachverständige für das Qualitätssicherungssystem.

Und was wollen die "Proponenten"? Da es sich vielleicht nicht gerade um digital natives handelt, habe ich noch keine Website gefunden, aber im Online-Standard gibt es immerhin das "Manifest". Dabei handelt es sich um ganz großes Drama: frei nach Gustav ("Ich habe eine Sehnsucht nach der nächsten Katastrophe") wird gleich zu Beginn eine drohende gesellschaftspolitische Katastrophe beschworen - und ebenfalls frei nach Gustav ("Rettet die Wale - und stürzt das System") muss man nach den Proponenten offenbar das System stürzen, um die Wale den ORF zu retten.

Ich will die medienpolitischen Positionen dieser Gruppe nicht näher kommentieren. Was mich allerdings beeindruckt, ist die Sicherheit, mit der hier Außenstehende (mit einer Ausnahme, einer Stiftungsrätin* zwei Ausnahmen, nämlich zwei Mitgliedern des Stiftungsrates, aber dazu komme ich gleich) einen "ruinösen Zustand" und einen "Sanierungsfall" konstatieren, der nur mehr mit massiven gesetzlichen Eingriffen bzw einer "Neugründung" zu retten wäre. Und interessant ist auch, dass den "Aufsichtsgremien" nicht nur vorgeworfen wird, es mangle ihnen an fachlicher Kompetenz, sondern auch, dass sie in einem ganz konkreten Fall, nämlich bei der kollektiven Anstellung freier Mitarbeiter, ihren gesetzlichen Aufgaben nicht entsprochen hätten.

Das ist nicht nur deshalb mutig, weil man darin vielleicht eine Tatsachenbehauptung sehen könnte, deren Richtigkeit wohl von den betroffenen Personen bestritten wird, sondern auch weil unter den Proponenten ein Mitglied* zwei Mitglieder des ORF-Stiftungsrates sind, neben Peter Radel auch Helga Rabl-Stadler. Sie hat eben dieser Anstellung zugestimmt, auch wenn sie es - laut Format - mittlerweile bereut, weil dies "dem ORF untragbare finanzielle Lasten gebracht" habe.

Kann man damit das "Rettet den ORF"-Manifest auch als eine Art Selbstbezichtigung von Helga Rabl-Stadler sehen? Meint sie auch sich selbst, wenn sie von der fehlenden fachlichen Kompetenz der Aufsichtsgremien spricht? Und war sie demnach nicht beteiligt, als der Stiftungsrat angeblich seinen gesetzlichen Aufgaben nicht nachgekommen ist?

Heute wird Rabl-Stadler in der Presse - bezogen auf die Tochterunternehmen des ORF (GIS, ORS, Enterprise, Online und Teletext) - mit den Worten zitiert: "Ich hafte zwar als Stiftungsrat, aber ich weiß nichts." Das ist auch nicht wirklich überzeugend: denn die Haftung kann sich natürlich nur soweit erstrecken, als der Aufgabenbereich des Stiftungsrates geht. Da aber nach § 21 Abs 3 ORF-G de facto das Zustimmungsrecht des Stiftungsrates bei Tochtergesellschaften ebenso weitgehend ist wie beim ORF selbst, sollte es jedenfalls nach dem Gesetz nicht so sein, dass die Stiftungsratsmitglieder über die Vorgänge in diesen Gesellschaften nichts wissen. Würden dem Stiftungsrat tatsächlich Informationen vorenthalten, die für die Wahrnehmung seiner Zuständigkeiten erforderlich sind, wäre dies ein Verstoß gegen die Berichtspflicht des Generaldirektors nach § 21 Abs 4 ORF-G - einen solchen Fall kann ich mir kaum vorstellen, denn ein Stiftungsrat, der sich selbst ernst nimmt, könnte sich das allein schon wegen der Haftung nicht gefallen lassen.

Die Mitglieder des Stiftungsrates haben gemäß § 20 Abs 2 ORF-Gesetz dieselbe Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit wie Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs muss jedes Mitglied des Aufsichtsrats "über das Wissen und die Erfahrung verfügen, die zur kompetenten Bewältigung der dem Aufssichtsrat übertragenen Aufgaben erforderlich ist. Dazu zählt jedenfalls auch die Fähigkeit, die von den Geschäftsführern an den Aufsichtsrat herangetragenen Berichte mit entsprechender Sachkenntnis aufzunehmen, um daraus die richtigen Schlüsse für die zu treffenden Entscheidungen über Geschäftsführungsmaßnahmen ziehen zu können. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Aufsichtsrat insgesamt jenes Wissen, das zur kompetenten Bewältigung seiner Aufgaben erforderlich ist, aufbringt. Jedes einzelne Mitglied muss daher in der Lage sein, die ihm von anderen - allenfalls auch zugezogenen Sachverständigen - gelieferten Informationen zu verstehen und sachgerecht zu würdigen." Jedenfalls muss bei jedem Aufsichtsratsmitglied "eine das Durchschnittsniveau übersteigende, besondere 'intelligenzmäßige Kapazität' vorausgesetzt werden".

Wer die Mitgliedschaft zum Stiftungsrat annimmt, gibt dadurch zu erkennen, dass er sich - in der Sprache des § 1299 ABGB - "den nothwendigen Fleiß und die erforderlichen, nicht gewöhnlichen, Kenntnisse zutraue". Wer erst als Stiftungsratsmitglied bemerkt, dass ihm diese Kenntnisse fehlen, wäre gut beraten, rasch die Funktion niederzulegen.

PS: Rabl-Stadler spricht sich mit dem "Rettet den ORF"-Manifest für eine Entparteipolitisierung des Stiftungsrates aus; im Format-Interview wird sie als "ORF-Stiftungsrätin, ÖVP" vorgestellt, obwohl sie von der Bundesregierung bestellt wurde und nicht auf einem der sechs Parteimandate sitzt.

PPS: Alexander Wrabetz, der jedenfalls entscheidend näher an der Sache dran war als Gerd Bacher und andere "ORF-Retter", sagte zur Anstellung der freien Mitarbeiter, die in der "Rettet den ORF"-Ferndiagnose als betriebswirtschaftlicher Unsinn bezeichnet wird, in einem Presse-Interview schon im Jahr 2007 Folgendes: "Der große Vorteil dieser Anstellung war, dass der ORF jetzt nicht bankrott ist." Andererseits: wäre der ORF durch die erwarteten Massenklagen auf Anstellung bankrott gegangen, hätte Bacher schon vor ein paar Jahren zur Rettung aufrufen können.

Und zum Abschluss: "ich gehöre nicht zu den Scheißern, die unentwegt sagen: Ja, zu meiner Zeit!", sagte Gerd Bacher vor wenigen Jahren (zitiert nach der ORF Wien Website).

*) update 31.3.2009: von einem Leser wurde ich dankenswerter Weise darauf aufmerksam gemacht, dass nicht nur, wie ursprünglich in diesem Beitrag stand, eine Proponentin der "ORF-Retter" auch dem Stiftungsrat des ORF angehört, sondern dass ja auch Dr. Peter Radel, früherer kaufmännischer Direktor des ORF und derzeit von der Bundesregierung bestellter Stiftungsrat, unter den Proponenten zu finden ist. Ich habe das im obigen Text daher korrigiert.

Wednesday, March 25, 2009

Rechenübungen: 14. Umsetzungsbericht

Der neue "Bericht über den Stand des europäischen Binnenmarktes der elektronischen Kommunikation 2008 (14. Bericht)" (aka 14. Umsetzungsbericht) hat schon am Tag seines Erscheinens für etwas Wirbel gesorgt: Kommissarin Reding machte in einem Interview in der Presse aus Anlass dieses Kommissionsberichts kritische Anmerkungen zur geringen Festnetz-Breitband-Durchdringung in Österreich und erwähnte dabei auch die Regulierungssituation (wörtlich: "Wir werden mit den österreichischen Regulatoren diskutieren müssen, was zu tun ist, damit die Marktöffnung besser funktioniert.").

Wohl wegen der - dem Inhalt des Interviews gar nicht wirklich entsprechenden - Einleitungssätze in der Presse ("Im 'Presse'-Interview greift die Wettbewerbs-Kommissarin die Monopolstellung der Telekom Austria an. ... Der Wettbewerb funktioniere nicht.") fühlte sich nicht nur die Telekom Austria zu einer Presseerklärung veranlasst, sondern auch einer der angesprochenen Regulatoren: die RTR hält der Kritik der Kommissarin in einer Pressemitteilung im Wesentlichen die hohe Durchdringung bei mobilem Breitband entgegen. RTR-Geschäftsführer Serentschy erklärt dazu noch, vom Kommunikationsstil der Kommissarin "persönlich sehr enttäuscht" zu sein und kündigt an, den Bericht, "sobald er uns von der Europäischen Kommission zur Verfügung gestellt wird" (zum Zeitpunkt der Presseaussendung war er im Web verfügbar), jedenfalls sehr genau zu prüfen.

Der eigentliche Bericht ist - wie in den letzten Jahren üblich geworden - knapp gehalten; Österreich wird darin nur einmal erwähnt (und zwar positiv, weil hier schon - wie in Finnland und Ungarn - die dritte Runde der Marktanalyseverfahren begonnen wurde). Details gibt es in zwei staff working documents (Teil 1, Teil 2), wobei in Teil eins auch Länderberichte enthalten sind (zum gesonderten Länderbericht für Österreich hier, für Deutschland hier; die Übersichtsseite zu allen Dokumenten ist hier).

Tatsächlich wird man den Bericht wohl in einzelnen Punkten noch genauer prüfen müssen: ein erster Blick auf ein paar Details in den staff working documents hat mich ein wenig irritiert: bei den Marktdaten zum Rundfunk (S. 89 und 90 im Teil 2) steht wörtlich:

"In this section, for the first time some indicators are presented for broadcasting. This market is becoming more and more important from an electronic communications point of view due to the convergence phenomenon, by which the frontiers between these two traditional markets are diffusing. This section is purely indicative as not all the NRAs could submit data on all of the segments of the market but it provides a good perspective of the technological diversity present in the Member States."

Das ist schon insofern merkwürdig, als wortwörtlich der selbe Text auch im Vorjahresbericht (S. 114) stand, und insofern die zwei mageren Schaubilder keineswegs "erstmals" Indikatoren zum Rundfunk zeigten. Abgesehen davon sind die Daten nicht nur bloß indikativ, sondern jedenfalls im Hinblick auf die "Number of TV connections" evidenter Unsinn. Was auch immer "TV connections as % of population" heißen soll, so sind allein schon die Änderungen zum vergangenen Jahr so atemberaubend, dass es - träfen sie zu - einer kompletten Umwälzung der Rundfunklandschaft gleichkäme. Hier nur ein paar Beispiele:
  • in Litauen hätte sich demnach die Anzahl der "TV-Anschlüsse" von etwa 40% auf 100% um das Zweieinhalbfache erhöht,
  • Dänemark hätte von knapp 140% auf nur 100% verloren,
  • sogar in Österreich wäre der Anteil von 40% auf fast 60% gestiegen,
  • im UK gäbe es einen Anstieg von ca. 25% auf knapp über 40%.
  • Signifikant sind auch die Zahlen zu den Niederlanden: in diesem Land mit bekannt hoher Kabeldurchdringung - "The rate of cable television penetration (more than 90%) is one of the highest in Europe", beschreibt die Europäische Audiovisuelle Informationsstelle den Markt im Jahr 2007 (korrekt auf die Haushalte bezogen) - wären laut dem Umsetzungsbericht im Jahr 2007 nicht einmal zehn Prozent "TV-Anschlüsse" (auf die Bevölkerung gerechnet) vorhanden gewesen. Damit das halbwegs plausibel wäre, müsste man von einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von zehn Personen ausgehen! Immerhin hat sich auch diese Zahl von 2007 auf 2008 sprunghaft auf über 40 Prozent mehr als vervierfacht.
Alles in allem: "Figure 122" im staff working document, volume 2, kann niemand freiwillig erstellt und zum Druck freigegeben haben, der auch nur eine entfernte Ahnung vom Rundfunkmarkt hat.

Bemerkenswert finde ich auch die Berechnung der Rundfunkmarktdaten im Österreich-Teil. Hier werden Prozentzahlen in "households over population" angegeben, sodass man etwa liest, dass "20.56% of subscribers" Fernsehen über Satellit empfangen hätten. Diese auf den ersten Blick verwirrende Zahl kann man nur auflösen, wenn man aus den "households over population" wieder die Haushalte rückrechnet und damit auf eine plausible Zahl von etwa 50% (der Haushalte) für den Satellitenempfang kommt. Im Bericht zu Deutschland hat die Kommission allerdings die branchenüblichen Prozentangaben auf der Basis der Haushalte genannt (genauso etwa im Bericht zum UK).

Tuesday, March 24, 2009

Der "Amsterdam-Test" - demnächst in einer Hauptstadt in Ihrer Nähe?

ORF-Generaldirektor Wrabetz ist, so berichtete jedenfalls EurActiv vor etwa zwei Wochen, "still quite happy" mit der Rundfunkmitteilung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2001 ("Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über Staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk"); implizit sollte das wohl heißen, dass er auf die von der Kommission vorbereitete Neufassung auch verzichten hätte können (etwa in diese Richtung geht auch die Stellungnahme des ORF im Konsultationsverfahren zum Entwurf der neuen Rundfunkmitteilung).

Der Entwurf für die neue Rundfunkmitteilung (zum wesentlichen Inhalt siehe, mit weiteren Links, auch schon hier) wurde umgehend massiv kritisiert, nicht nur von öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern (stellvertretend hier die Position der EBU), sondern vor allem auch von den Regierungen vieler EU-Mitgliedstaaten, bei denen der Eindruck entstanden ist, die Kommission wolle durch die Mitteilung über die Auslegung der Beihilfenbestimmungen des EG-Vertrags hinaus eigentlich rechtsgestaltend eingreifen, ohne dass ihr dazu allerdings eine Kompetenz zukäme (Bedenken in diese Richtung brachte zB auch Österreich im Konsultationsverfahren ein).

Vergangene Woche hat die für die Rundfunkmitteilung zuständige Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes in einer Rede in Den Haag versucht, der aufgeregten Reaktion der Mitgliedstaaten ein wenig entgegenzutreten. Die neue Rundfunkmitteilung solle demnach lediglich die mittlerweile gewonnenen Erfahrungen (zB aus den 22 seither ergangenen Entscheidungen) berücksichtigen, aber keine Rechtsänderung herbeiführen. Wörtlich sagte Kroes: "I am emphasising this, because contrary to some rumours, the draft Communication is not creating new law. It merely makes our existing administrative practice more coherent and clearer."

Aber Kroes betonte auch nachdrücklich die Verpflichtung der Kommission, Beihilfen im Rundfunksektor zu kontrollieren. Eine Ausnahme für diesen Sektor ist im EG-Vertrag nicht vorgesehen. Eckpunkte ihrer Rede waren:
  • Technologieneutralität: Beihilfen (Rundfunkgebühren/Programmentgelte) können unabhängig von der verwendeten Plattform für alle möglichen audiovisuellen Dienste eingesetzt werden. Sendungen öffentlich-rechtlicher Rundfunkveranstalter werden nicht dadurch zu einem neuen Dienst, dass sie zB über Internet oder DVB-H gesendet werden. "Extension of its transmission to new platform is simply a consequence of technological development."
  • Wenn allerdings wirklich neue und wichtige Dienste - egal auf welcher Plattform - angeboten werden, dann verlangt auch das Protokoll von Amsterdam, dass durch die Beihilfen "die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt [werden], das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft".
  • Daher muss der "public value" eines beihilfenfinanzierten Angabots mit den zu erwartenen Marktauswirkungen abgewogen werden. In der neueren Entscheidungspraxis seit 2007 wird dieser "balancing test" nun auf nationaler Ebene und nicht mehr in Brüssel von der Kommission durchgeführt.
  • Kroes hält diesen Test - sie nennt ihn "Amsterdam-Test" - nicht für eine zu große finanzielle und administrative Bürde:
    • Denn erstens wird der Test nur für wichtige und wirklich neue Angebote verlangt, und hier wird den Mitgliedstaaten ein weiter Ermessensspielraum zugestanden;
    • Zweitens gilt der Test nicht für Pilotprojekte;
    • Drittens bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, adäquate Verfahren und Einrichtungen für die Durchführung des Tests auszuwählen. Die neue Rundfunkmitteilung soll offen bleiben für verschiedene Lösungswege, egal ob das Parlament, ein Minister, eine Behörde oder ein wirklich unabhängiges Gremium innerhalb eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalters selbst den Test durchführt.
    • Schließlich ist der Test nach Ansicht von Kroes breit angelegt und greift damit nicht in die redaktionelle Freiheit ein. Gerade um die redaktionelle Unabhängigkeit zu sichern, akzeptiere die Kommission auch die Möglichkeit, den Test von einem internen Gremium der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt durchführen zu lassen, wenn Interessenkonflikte vermieden werden.
    Der "market impact test" im Mitgliedstaat sollte daher, so Kroes, als Chance und nicht als Bedrohung gesehen werden. Der Test werde durch die Sicherung der dualen Rundfunkordnung auch bei der Bewahrung der Medienvielfalt helfen.
  • Kroes kündigte auch eine Kürzung des Mitteilungs-Entwurfs und eine neuerliche Konsultation darüber an.
Bemerkenswert aber ist eine Ankündigung von Kroes zum Schluss ihrer Rede: es wäre ein Fehler, die Bereitschaft der Kommission, die Verantwortung die Beurteilung der Marktauswirkungen neuer Dienste [mit den Mitgliedstaaten] zu teilen, einfach abzutun:
"If the Commission is forced to continue intervening on a case by case basis in this sector, the outcome will be legal uncertainty at a time where all media alike need security for planning ahead. This cannot be in anyone's interest."
Mit anderen Worten: wenn die Mitgliedstaaten nicht selbst Verantwortung für ein echtes/ehrliches Market Impact Assessment übernehmen, dann wird sich die Kommission eben weiterhin jeden Einzelfall im Detail anschauen - und wer weiß, was dabei herauskommt.

Sunday, March 22, 2009

Auch die SRG muss sparen ...

"Erfahrungen in audiovisuellen Medienunternehmen zeigen, dass für konvergentes Arbeiten die räumliche Nähe der Redaktionen vorteilhaft ist." Das steht in einem Bericht des Generaldirektors der SRG an seinen Verwaltungsrat vom 18. März 2009 (zum Thema Medienkonvergenz und Wirtschaftlichkeit, abrufbar auf der SRG-Website).

Wahrscheinlich stehen ähnliche Sätze auch im "Strategie- und Strukturkonzept für den ORF im digitalen Zeitalter", einem Bericht des ORF-Generaldirektors an den ORF-Stiftungsrat (siehe dazu auch den vorangegangenen Eintrag). Genau weiß man es freilich nicht, denn der ORF verzichtet darauf, dieses Konzept online verfügbar zu machen (Geheimhaltungsüberlegungen können dafür nicht ausschlaggebend sein, zumal der Bericht auch schon an - jedenfalls definitionsgemäß - außenstehende Politiker übermittelt wurde). Aber wenn man auf der ORF-Website Informationen zum Unternehmen sucht, ist die erste Eintragung schon seit Monaten unverändert: "Am liebsten ORF - ORF-Werbekampagne".

Auch die SRG kämpft mit schlechten Ergebnissen; das Unternehmensergebnis ist mit etwa 79 Millionen CHF negativ (ORF: ca 79 Mio Euro). Nähere Infos zum Abschluss 2008 der SRG wird es pünktlich, wie die Schweizer eben sind, am 30. April mit dem Geschäftsbericht 2008 geben (der ORF hat sich zuletzt mit dem Geschäftsbericht 2007 bis zum 15. Dezember 2008 Zeit gelassen- ich bin schon gespannt, wann der Bericht heuer vorliegen wird). In der Schweiz wird allerdings angekündigt, am Programmangebot sparen zu wollen: "Angesichts der real abnehmenden Einnahmen und der aktuellen Finanzaussichten ist über die bestehenden Sparprogramme hinaus eine Reduktion des Programmangebots und der Eigenproduktionen nicht zu umgehen", heißt es dazu in der Presseaussendung.

An eine Gebührenerhöhung denken die Schweizer nicht. Allerdings haben sie eine deutlich andere Ausgangsposition als der ORF: im Jahr 2008 erlöste die SRG umgerechnet mehr als 730 Mio Euro aus Empfangsgebühren und damit fast um die Hälfte mehr als der ORF aus Programmentgelten (504 Mio Euro); die Empfangsgebühren betragen monatlich (für Radio und Fernsehen zusammen) rund 25 Euro und damit gleich um 10 Euro mehr als das ORF-Programmentgelt. Die SRG erhält davon ca. 91%, jeweils rund vier Prozent erhalten private Veranstalter ("Gebührensplitting") und die Billag, der kleine Rest geht an das BAKOM bzw wird für neue Technologien und Nutzungsforschung verwendet; festgesetzt werden die Empfangsgebühren durch den Bundesrat. (Wer übrigens sehen will, wie die "Schweizer GIS", die Billag, für die Empfangsgebühren Werbung macht, kann das hier tun)

PS: die BBC trifft es ebenfalls: 400 Mio GBP müssen innerhalb der nächsten drei Jahre eingespart werden, sagte BBC-Generaldirektor Mark Thompson am vergangenen Donnerstag; der Guardian berichtete: "The idea that the BBC was 'swimming with cash and people' was out of date, he said." Die Ausgaben für den Online-Dienst werden aber innerhalb der kommenden drei Jahre um 27% steigen, auf 145 Mio GBP pro Jahr - womit die vom BBC Trust genehmigte Steigerung aber weit hinter dem Antrag der BBC zurückblieb. Die Genehmigung des Budgets durch den BBC Trust (siehe die Meldung hier) erfolgte im Hinblick auf das Online-Angebot unter besonderen Auflagen: der Trust hält zwar derzeit keinen Public-Value-Test für erforderlich, behält sich aber vor, die Auswirkungen genau zu beeobachten und erforderlichenfalls einzelne Bereiche des Online-Angebots einem Public-Value-Test zu unterziehen.

Saturday, March 21, 2009

ORF-Finanzierungswunsch: deutlich höheres Programmentgelt und € 57 Mio vom Bund

"Tatsache ist, dass der ORF strukturell unterfinanziert ist, d.h. dass mit den Programmentgelten der öffentlich-rechtliche Auftrag bei weitem nicht finanzierbar ist." Das steht laut Standard im "Strategie- und Strukturkonzept", das ORF-Generaldirektor Wrabetz gestern den Mitgliedern des Stiftungsrats übermittelt hat (offenbar aber nicht nur diesen: "SPÖ-Medienstaatssekretär Josef Ostermayer habe ein Exemplar des ORF-Konzepts zur Verfügung gestellt bekommen", schreibt der Standard). Unter dieser Prämisse einer strukturellen Unterfinanzierung ist es nur logisch, weitere Finanzierungsquellen zu suchen oder bestehende auszubauen. Die zwei sich anbietenden Varianten: Erhöhung des Programmentgelts und/oder (Zusatz-)Finanzierung aus Steuermitteln.

Die Höhe des Programmentgelts wird allein vom ORF selbst festgelegt (derzeit noch - im Hinblick auf das EU-Beihilfenverfahren könnten hier gesetzliche Änderungen bevorstehen). Zwar ist jeder, der ORF-Programme empfangen kann, gesetzlich zur Zahlung des Programmentgelts - wie hoch auch immer es sein mag - verpflichtet (von den "Gebührenbefreiten" abgesehen). Dennoch würde eine wesentliche Erhöhung wohl auf Widerstand in der Öffentlichkeit stoßen (was sich schon bei der vergleichsweise geringen Anhebung Anpassung im vergangenen Jahr abzeichnete).

Wie also könnte man das Programmentgelt um die Hälfte erhöhen, ohne dass dies von den zahlenden Rundfunkteilnehmern bemerkt würde? Ganz einfach: würden die derzeit zugleich mit dem Programmentgelt eingehobenen Bundes- und Landesabgaben wegfallen, würde der zu zahlende Betrag auch bei einer Erhöhung des Programmentgelts um gut 50% gleich bleiben (Berechnungsgrundlage sind die Zahlen laut GIS-Presseaussendung für 2008: demnach gingen 66% des "Transaktionsvolumens" der GIS von € 724,2 Mio an den ORF, 34% an Bund und Länder - in diesen 34% dürfte allerdings auch die USt vom Programmentgelt enthalten sein).

Könnte man also Bund und Länder zu einem Verzicht auf die Abgabe bewegen, wäre Platz für eine aus der Sicht der "Gebührenzahler" aufwandsneutrale Erhöhung des ORF-Programmentgelts. Nach den in den Medien wiedergegebenen Kurzfassungen des Strategiekonzepts strebt der ORF-Generaldirektor an, dass die Bundes- und Landesabgaben "zu einem wesentlichen Prozentsatz für öffentlich-rechtliche Aufgaben des ORF eingesetzt werden." Das klingt eher nicht nach einer direkten Erhöhung des Programmentgelts im Gegenzug zu einem (teilweisen) Wegfall der Abgaben, sondern als Wunsch nach einer neuen Beihilfe aus Bundes- und Landesmitteln, die sich der Höhe nach an den mit dem Programmentgelt eingehobenen Abgaben orientieren - und jedenfalls einen beträchtlichen Teil dieser Abgaben ausmachen - soll. Die Salzburger Nachrichten schreiben von einem konkreten Wunsch des ORF in der Höhe von €177 Mio, was de facto einer Erhöhung des Programmentgelts um etwa 37% gleichkommen würde. (Die gesamte Höhe der Bundes- und Landesabgaben machte laut GIS im Jahr 2008 € 246 Mio aus).

Und zusätzlich wünscht sich der ORF die sogenannte "Refundierung" jener Programmentgelte, die gebührenbefreite Rundfunkteilnehmer, wären sie nicht befreit, zahlen müssten (siehe dazu schon hier, hier und hier). Aktuell geht es dabei um etwa € 57 Mio, Ende 2007 waren 323.139 Rundfunkteilnehmer "gebührenbefreit. Zählt man also die beiden Finanzierungswünsche (€ 177 Mio. und € 57 Mio.) zusammen, kommt man auf einen Betrag, der ziemlich genau einer Programmentgelterhöhung um 50% gleichkommen würde.

Eine Erhöhung des Programmentgelts hätte den Vorteil, dass dies gemeinschaftsrechtlich lediglich eine Ausdehnung einer "bestehenden Beihilfe" wäre und damit jedenfalls nicht vorweg der Europäischen Kommission notifziert werden müsste. Eine Finanzierung des ORF aus allgemeinen Budgetmitteln hingegen bestand zum Zeitpunkt des österreichischen EU-Beitritts nicht. Angesichts des hier angesprochenen Umfangs der gewünschten Budget-Finanzierung scheint es mir ziemlich fraglich, ob dies noch als bloße Modifikation der bisherigen Beihilfe beurteilt werden könnte. Die Kommission steht - zuletzt im Entwurf zur neuen Rundfunkmitteilung - auf dem Standpunkt, dass jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, ob Änderungen der Finanzierung nach dem Beitritt "die ursprüngliche Maßnahme in ihrem Kern betreffen (d. h. die Art des Vorteils oder die Finanzierungsquelle, das Ziel der Beihilfe, den Kreis der Begünstigten oder die Tätigkeitsbereiche der Begünstigten) oder ob es sich um rein formale oder verwaltungstechnische Änderungen handelt" (vgl das Urteil des EuGH in der Rs C-44/93 Namur). Eine erstmalige substantielle Finanzierung direkt aus dem Budget (aus nicht zweckgebundenen Abgaben) - und damit eben aus einer neuen Finanzierungsquelle - wäre daher ohne vorherige Notifikation meines Erachtens nicht ohne Risiko. Allerdings wird angesichts des derzeit laufenden Beihilfenverfahrens wohl im Ergebnis ohnehin ein "Gesamtkompromiss" zu finden sein, in dem auch diese Frage zwischen der Kommission und Österreich einvernehmlich geklärt wird. Interessant wird sein, ob bzw wie Frankreich die geplanten Finanzierungsänderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks notifiziert; vergangenes Jahr wurde etwa eine Kapitaldotation von € 150 Mio von Frankreich notifziert (und von der Kommission als mit dem gemeinsamen Markt vereinbar beurteilt - gegen diese Entscheidung haben M6 und TF1 schon beim EuG Klage erhoben).

Noch ein letztes Wort zur "Refundierung": in der Kurzfassung des Strategiekonzepts steht: "Der ORF verlangt die vollständige staatliche Refundierung der Mittel, die ihm aus dem Titel 'Gebühren-Befreiung aus sozialen Gründen' zustehen. Dies ist nicht mehr als ein Akt der Gleichbehandlung mit den Telekom-Unternehmen, ÖBB, etc." Das wird zwar durch Wiederholung nicht richtiger, ist aber aus PR-Sicht schlicht genial: in zahlreichen Medien wird diese "Argumentation" unreflektiert übernommen. Nur Armin Thurnher im Falter blieb es vorbehalten, gleich einen Betrag von € 120 Mio. zu erfinden, der dem ORF als "Aufwand für die Gebührenbefreiungen" [?] entsteht (der Artikel ist auch online zu finden).

PS: Armin Thurnher hatte übrigens ein zum Nachteil des Falter ergangenes Urteil vor wenigen Wochen zum Anlass genommen, den "Rechtsstaat in der Krise" zu sehen und zu schreiben: "Mittlerweile muss man sich von Leuten aburteilen lassen, die schlampig arbeiten, schlechtes Deutsch schreiben und der indirekten Rede nicht mächtig sind, sodass manche ihrer Sätze das Gegenteil von dem sagen, was sie sagen sollen. Kann man von solchen Leuten verlangen, dass sie das Konzept der Meinungsfreiheit verstehen?"
Vielleicht sollte ich angesichts seiner Fehler* im Artikel zum ORF nun den "Journalismus in der Krise" sehen, etwa so: "Mittlerweile muss man sich von Leuten informieren lassen, die schlampig arbeiten und des Recherchierens nicht mächtig sind, sodass manche ihrer Sätze das Gegenteil davon sagen, was den Tatsachen entspräche. Kann man von solchen Leuten erwarten, dass sie das Konzept der objektiven Information verstehen?"

*) Schon beim flüchtigen Lesen des Artikels im Falter Nr. 12/09 fallen - neben der grundlegend falschen Zahl von €120 Mio - einige weitere Fehler auf: Thurnher schreibt zB auch, dass "die EU" jede Form öffentlicher Finanzierung als unerlaubte Beihilfen betrachte, und er behauptet, dass sich der ORF "überwiegend aus Werbung" finanziere (2007 kamen 30% der ORF-Erlöse aus der Werbung); auch dass das Parlament 1967 ein neues ORF-Gesetz beschlossen habe, ist falsch, und zwar nicht nur weil es damals Rundfunkgesetz hieß, sondern auch weil der Parlamentsbeschluss im Juli 1966 war; und nicht einmal dass Bruno Kreisky "13 Jahre lang mit absoluter Mehrheit das Land regierte", ist richtig: die absolute Mehrheit erreichte Kreisky mit der SPÖ bei den Nationalratswahlen am 10.10.1971, und er verlor sie bei den NR-Wahlen am 24. April 1983 - nicht einmal zwölf Jahre.

Sunday, March 15, 2009

Österreichischer Musikanteil im ORF: (k)ein Auftrag

Rechtlich ist die Sache nach einer Entscheidung des Bundeskommunikationssenates (BKS) aus dem vergangenen Oktober klar: Die gegenwärtige Rechtslage schreibt dem ORF "keinerlei spezifische Quote österreichischer Musik in seinen Programmen" vor ("aus der Verpflichtung des ORF, in der Gesamtheit seiner Programme neben vielen anderen Zielen für die Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion zu sorgen, [lässt sich] auch kein Mindestausmaß der vom ORF in seinen Hörfunkprogrammen zu spielenden neu erschienen österreichischen Musik ableiten").

Der in § 4 ORF-G festgelegte Programmauftrag enthält schon in seinem ersten Absatz gleich 18 verschiedene Ziele, und lediglich aus Ziffer 6, wonach der ORF auch für "die angemessene Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion" zu sorgen hat, kann nach Ansicht des BKS "überhaupt abgeleitet werden, dass dem ORF ... gewisse Verpflichtungen in Bezug auf die Förderung der Produktion österreichischer Kunst und Kultur zukommen könnten." Aber auch diese Verpflichtungen erstrecken sich nicht auf die Einhaltung einer gewissen Quote.

Der BKS stellte fest, dass im Jahr 2007 knapp 15% der in den ORF-Hörfunkprogrammen gesendeten Unterhaltungsmusikproduktionen von der AKM verwaltet wurden, was - auch von den Beschwerdeführern - als Näherungswert für den "Österreich-Anteil" genommen wurde; in den einzelnen Programmen reichten die Anteile von 5,49% bei Ö3 bis zu 20,15% bei Radio Burgenland. Insgesamt bestand für den BKS damit "überhaupt kein Zweifel", dass sich der ORF bei seiner Programmgestaltung von den in § 4 Abs 1 ORF-G genannten Kriterien hat leiten lassen.

Zwischen rechtlicher und moralischer Verpflichtung kann freilich ein Unterschied sein, und die österreichische Musikbranche tritt weiter hartnäckig für einen höheren Anteil österreichischer Musik ein. Am Freitag, 13. März 2009, hat nun der ORF eine "Initiative zur Unterstützung der österreichischen Musikschaffenden" angekündigt und mitgeteilt, dass er "noch in diesem Jahr den Anteil österreichischer Musik in den ORF-Radioprogrammen um 5 Prozent zu steigern" gedenkt. Bei einem Ausgangswert von etwa 15% ergibt eine Steigerung um 5% allerdings nicht einmal 16% - damit wird SOS-Musikland wohl kaum zufrieden sein.

Interessant ist, dass der ORF laut Presseaussendung offenbar neben dem gesetzlichen Programmauftrag (§ 4 ORF-Gesetz) noch einen eigenen, selbst definierten Programmauftrag kennt:
"Der ORF bekennt sich in seinem Programmauftrag nicht nur zur besonderen Förderung österreichischer Musik, Musiker und Musikschaffender, sondern verfolgt darüber hinaus das Ziel, die Bedeutung österreichischer Musik in der Wahrnehmung durch seine Hörerschaft substanziell zu steigern."
Im BekennerbriefIn der Presseaussendung wird auch definiert, wer als österreichisch gilt:
"Als österreichisch gelten Personen, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen/besaßen, die längere Zeit hindurch ihren Lebensmittelpunkt oder ihren Produktionsstandort in Österreich haben/hatten oder die aufgrund der bisherigen Karriere oder ihres Images als Österreicher betrachtet werden/wurden - all dies unabhängig von Stil und Sprache."
Überhaupt liest sich die ORF-Presseaussendung teilweise wie ein Gesetzbuch, teilweise wie ein Kommuniqué zu einem angebotenen Waffenstillstand, komplett mit einem Vorschlag für die Überwachung seiner Einhaltung:
"Der ORF schlägt die Einrichtung eines paritätisch besetzten Dialoggremiums (runder Tisch) in Zusammenarbeit mit den österreichischen Musikschaffenden vor, das in regelmäßigen Zeitabständen die Entwicklung des heimischen Musikmarktes monitort, Ideen entwickelt und Vorschläge diskutiert. Während des laufenden Prozesses ist eine gemeinsame professionelle Kommunikationsbasis anzustreben, die gewisse Mindestqualitätsstandards nicht unterschreitet."
Schön formuliert; schließlich hätte man statt dem letzten Satz ja auch schreiben können: "und überhaupt wollen wir uns nicht dauernd blöd anreden lassen". So aber könnte man das vielleicht auch dahin verstehen, dass in Zukunft spannendere Presseaussendungen gemacht werden sollen.

Ein letzter Hinweis zur Quote: dass eine gesetzliche "Österreich-Quote", die schematisch einfach an der Nationalität der Beteiligten ansetzt, mit Gemeinschaftsrecht kaum vereinbar wäre, weiß der ORF natürlich; denkbar wäre, wie der ORF mit der Bezugnahme auf die von ihm ausdrücklich nicht angestrebte "deutsche Sprachraumquote" auch einräumt, eine auf die Sprache abstellende Quote (Sprachenschutz rechtfertigt vieles, wie der EuGH zuletzt in der Rechtssache UTECA - siehe dazu hier - entschieden hat). Ob dabei wirklich gleich auf den gesamten deutschen Sprachraum abgestellt werden müsste, halte ich nicht für ausgemacht, zumal auch die kulturelle Besonderheit "österreichisches Deutsch" schutzwürdig ist (hier noch ein Link zu einem Audiobeitrag "Österreichisches Deutsch und Musik", gesendet auf dem freien Grazer "Radio Helsinki").

PS (update 28.3.2009): Zur Schweizer Situation siehe eine aktuelle Medienmitteilung der SRG

Thursday, March 12, 2009

EuGH: mangelhafte Umsetzung der UD-RL in Portugal - wegen Gerichtsentscheidungen

Der Europäische Gerichtshof hat heute in der Rechtssache C-458/07, Kommission/Portugal (Urteil derzeit nur in französicher und portugiesischer Sprache verfügbar), ausgesprochen, dass die Republik Portugal ihren Pflichten aus der Universaldienst-RL nicht nachgekommen ist, da sie in der Praxis nicht garantiert hat, dass allen Endnutzern mindestens ein umfassendes Teilnehmerverzeichnis und ein umfassender Telefonauskunftsdienst in Übereinstimmung mit Art 5, Abs 1 und 2 und Art 25 Abs 1 und 3 der Universaldienst-RL bereitgestellt wird.

Interessant an diesem Fall ist, dass Portugal die notwendigen gesetzlichen Regelungen geschaffen hatte; auch die Regulierungsbehörde hatte eine Anordnung getroffen, um eine Herausgabe des Teilnehmerverzeichnisses zu ermöglichen. Vodafone ging dagegen zu Gericht und erhielt vom Tribunal Administrativo e Fiscal de Lisboa zunächst aufschiebende Wirkung (suspensão da eficácia) und schließlich auch in der Hauptsache Recht.

Ein umfassendes Teilnehmerverzeichnis kam daher im Ergebnis (auch) auf Grund dieser gerichtlichen Entscheidungen nicht rechtzeitig zustande. Das half Portugal im Vertragsverletzungsverfahren allerdings nicht: nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH obliegen die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, das in einer Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie gemäß Art. 10 EG, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten (zuletzt Urteil vom 27.11.2008, C - 396/07, juuri). Ein Mitgliedstaat verstößt auch dann gegen die Verpflichtung zur Umsetzung von Richtlinien, wenn die Handlung oder Untätigkeit, die Ursache des Verstoßes ist, von einem verfassungsrechtlich unabhängigen Organ gesetzt wird.

Wednesday, March 11, 2009

Termin-Hinweise

Österreichs Medien haben (k)eine Zukunft, Podiumsdiskussion veranstaltet vom Österreichischen Journalistenclub
am Montag, 16. März 2009 um 18.30 Uhr
Vienna International Press Center des ÖJC, Blutgasse 3, 1010 Wien
Es diskutieren ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, VÖZ-Präsident Horst Pirker und RTR-Geschäftsführer Alfred Grinschgl, Moderation: ÖJC-Präsident Fred Turnheim

"Ausverkauf der Qualität - Steht journalistischer Anspruch vor dem Ende?"
(Eine Diskussionsveranstaltung von ORF, Universität Wien und "DIE ZEIT"), mit Keynote von Nick Davies ("Flat Earth News")
Dienstag, 17. März 2009, 19.30 Uhr
Universität Wien, Neues Institutsgebäude (NIG), Hörsaal 1, Universitätsstraße 7, 1010 Wien
Es diskutieren: Nick Davies (Autor von "Flat Earth News"), Joachim Riedl (DIE ZEIT), Fritz Hausjell (Universität Wien), Armin Wolf (ORF), Atha Athanasiadis (Verlagsgruppe NEWS), Moderation: Elisa Vass, Ö1

Buchpräsentation "Journalistinnen in Österreich - Erobern Frauen die Medien?" (Silke Rudorfer / Traude Kogoj / Reinhard Christl, Hg.)
Montag, 23. März 2009 um 19:00 Uhr im Presseclub CONCORDIA, Bankgasse 8, 1010 Wien

Leider kann ich an diesen drei Veranstaltungen nicht teilnehmen, dafür aber an einem noch etwas weiter entfernten Ereignis, auf das ich auch gleich hinweisen möchte:

17. Österreichischer Juristentag, vom 6. bis 8. Mai 2009 an der Universität Wien Die Tagung steht unter dem Gesamtmotto "Meilensteine der Rechtsfortentwicklung - 50 Jahre ÖJT"; die Abteilung Öffentliches Recht beschäftigt sich mit dem Thema "Vom Wirtschaftsaufsichtsrecht zum Regulierungsverwaltungsrecht".
Gutachter ist Michael Holoubek; ausgehend vom Gutachten werden Bernhard Raschauer, Wolfgang Urbantschitsch und ich in unseren Referaten verschiedene Aspekte des Regulierungsrechts erörtern und uns der Diskussion unter dem Vorsitz von Ludwig Adamovich und Christoph Grabenwarter stellen.

EuG: französische Rundfunkgebühr mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar

Wie angekündigt hat das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (EuG) heute aufgrund einer Klage von TF1 über die Vereinbarkeit des französischen Rundfunkgebührensystems mit dem Gemeinsamen Markt entschieden (Urteil vom 11. 3. 2009, T-354/05 TF1, vorerst nur in französischer Sprache verfügbar; Vorgeschichte/Hintergrund hier). Dabei hat das EuG die Kommissionsentscheidung bestätigt (siehe auch die Presseaussendung des EuG).

Das EuG sieht zwar - wie die Kommission - auch das französische System als eine staatliche Beihilfe an, die aber mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist; insbesondere wurden auch die Verpflichtungszusagen Frankreichs gegenüber der Kommission als ausreichend beurteilt (mit diesen Zusagen hatte sich Frankreich verpflichtet, dass die Finanzmittel für France Télévision nur die Kosten für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen decken sollen und eventuelle Gewinne vollständig in die Tätigkeiten der öffentlichen Sender reinvestiert und bei der Aufstellung des Haushalts für das nächste Wirtschaftsjahr berücksichtigt werden; weiters sollte jährlich durch eine unabhängige Audit-Institution überprüft werden, ob die öffentlichen ihre erwerbswirtschaftlichen Tätigkeiten zu Marktbedingungen ausüben).

Auch dass die Kommission die Beurteilung des Vorliegens einer Beihilfe dem Mitgliedstaat überlassen habe, wie TF1 argumentierte, stimmt nach Auffasung des EuG nicht: "C’est, au contraire, dans l’exercice de sa compétence exclusive pour apprécier la compatibilité des aides d’État avec le marché commun que la Commission, par la décision attaquée, a obtenu de la République française certains engagements visant à assurer la compatibilité du régime de la redevance avec ce marché." Ebensowenig sei der Kommission ein Rechtsfehler bei der Anwendung der Altmark-Kriterien unterlaufen, zumal sie festgestellt hat, dass weder das zweite noch das vierte Altmark-Kriterium vorlag - wären alle Altmark-Kriterien erfüllt, wäre ja gar keine Beihilfe vorgelegen.

Abzuwarten bleibt nun natürlich, ob TF1 ein Rechtsmittel an den EuGH erhebt, der damit erstmals zu Rundfunkgebühren Stellung nehmen könnte.

Tuesday, March 10, 2009

Charta "Öffentlicher Rundfunk in Europa"

Die Initiative "derFreiRaum" und das Publizistikinstitut der Universität Wien haben heute die Charta "Öffentlicher Rundfunk in Europa" präsentiert, die "gemeinsam mit österreichischen WissenschafterInnen und Persönlichkeiten der Öffentlichkeit" verfasst wurde. Die Charta soll den Status, die Perspektive und die Anforderungen an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa zusammenfassen und die künftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Mediensektors thematisieren. Unter den InitiatorInnen sind Kommunikationswissenschafter wie Fritz Hausjell, Wolfgang Langenbucher und Wolfgang Duchkowitsch, ehemalige PolitikerInnen wie Mercedes Echerer und Heinrich Neisser, Sozialforscher Günther Ogris, Politikwissenschafter Anton Pelinka und JournalistInnen wie Eva Marginter, Trautl Brandstaller, Peter Pawlowsky und Klaus Unterberger vom Public Value Kompetenzzentrum des ORF.

Die Inhalte der Charta lassen sich, da es schon ein recht komprimierter und notwendigerweise allgemein gehaltener Text ist, nicht leicht zusammenfassen - aber die vier Seiten (hier abrufbar) sind schnell gelesen (update 11.3.2009: mittlerweile ist der Text nicht nur als Word-Datei auf der Standard-Website verfügbar, sondern auch hier auf der derFreiRuam-Website, auch in englischer Sprache). Die unmittelbar aktuellste Forderung der Charta ist wohl die nach dem "funktionsgerechten Zugang zu allen jeweils zeitgemäßen Verbreitungsformen", was "den Ausbau der Internetportale" des öffentlich rechtlichen Rundfunks erfordere.

Die InitiatorInnen kündigen jedenfalls an, die Charta entsprechend zu verbreiten, um "einen breiten, offenen, kritischen und vor allem europaweiten Diskussionsprozess zur Bedeutung öffentlich-rechtlicher Medien anzustoßen".

Monday, March 09, 2009

Coming up: EuG entscheidet am 11. März über französische Rundfunkgebühren

"Es war einmal ...", so muss man in Wettbewerbssachen oft beginnen. So auch hier: es war einmal, vor 16 Jahren, da beschwerte sich der französische Privatsender TF 1 (Hauptaktionär: Bouygues) über die staatliche Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender France 2 und France 3. Es ging dabei um die französische Rundfunkgebühr (la redevance), Investitionszuschüsse, Defizitabdeckung, Kapitalerhöhung und noch einiges mehr. Nach gut zwei Jahren teilte die Kommission mit, dass sie "mit ähnlichen Beschwerden bezüglich anderer Mitgliedstaaten befasst sei, bei denen es um die gesamte allgemeine Problematik der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gehe, und daß die Kommission daher beschlossen habe, eine Studie über die damals zwölf Mitgliedstaaten der Union in Auftrag zu geben. Ergänzend führte die Kommission aus, daß diese Studie wegen methodischer Schwierigkeiten und wegen des Umfangs der Untersuchung bisher noch nicht abgeschlossen sei" (Zitat aus dem EuG-Urteil T-17/96).

1996 brachte TF1 dann Klage beim EuG ein; mit Urteil vom 3. Juni 1999, T-17/96, stellte das EuG fest, dass die Kommission "dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen [hat], daß sie auf die von der Télévision française 1 SA am 10. März 1993 eingereichte Beschwerde betreffend die staatlichen Beihilfen keine Entscheidung erlassen hat." Die von Frankreich und der Kommission dagegen erhobenen Rechtsmittel wurden mit Urteil des EuGH vom 12. Juli 2001, C-302/99 P und C-308/99 P, zurückgewiesen.

Am 27.09.1999 leitete die Kommission das förmliche Prüfverfahren nach Art 88 Abs 2 EG wegen der Investitionszuschüsse zugunsten von France 2 und France 3 und der Kapitalerhöhungen, die von 1988 bis 1994 France 2 gewährt wurden, ein. Mit Entscheidung 2004/838/EG vom 10.12.2003 entschied die Kommission, dass die gegenständlichen Investitionszuschüsse und Kapitalerhöhungen staatliche Beihilfen darstellten, die nach Art 86 Abs 2 EG mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind. Die dagegen von TF1 beim EuG erhobene Klage wurde mit Beschluss vom 19.05.2008 abgewiesen (siehe dazu schon hier).

Diese Entscheidung betraf allerdings nicht die Finanzierung durch die Rundfunkgebühr (korrekt: "die Gebühren für das Recht der Nutzung der Empfangsstationen, die mit dem französischen Gesetz Nr. 49-1032 vom 30. Juli 1949 eingeführt worden waren"). Diese Frage wurde von der Kommission erst in der Entscheidung E 10/2005 vom 20.04.2005 behandelt (Mitteilung im Amtsblatt; case site).

In der Entscheidung hielt die Kommission fest, dass die Rundfunkgebühren in Frankreich mit Gesetz vom 30. Juli 1949 eingeführt und seither im Grundsatz nicht geändert worden waren, auch nicht mit einem Gesetz aus dem Jahr 2004, nach dem die Gebühren nun von bestimmten Steuerbehörden eingezogen werden (daher handelt es sich auch um "staatliche Mittel"). Die Höhe der Gebühren wird regelmäßig überprüft, über die Verteilung auf die Empfänger entscheidet das Parlament. Die Gebühren vermitteln einen selektiven Vorteil, der grundsätzlich geeignet ist, den Wettbewerb zu beeinflussen. Die Kommission überprüft die Gebühren dann nach den Altmark-Kriterien. Sowohl das zweite als auch das vierte Altmark-Kriterium sei nicht erfüllt: weder sehe das Gesetz objektive und transparente Parameter zur Berechnung des Ausgleichs vor, noch seien die Empfänger der Gebühren in einer Ausschreibung bestimmt worden oder die Höhe des Ausgleichs nach den Kosten festgelegt worden, die für ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen zur Erfüllung des Auftrags entstehen. Da auch der Handel zwischen den Mitgliedstaaten betroffen sei, handle es sich um eine staatliche Behilfe.

Allerdings habe die Beihilfe zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages schon bestanden. Auch wenn das Gesetz seitdem mehrfach geändert wurde, seien dadurch die Art der Maßnahme, ihr Ziel, die gesetzliche Grundlage sowie Empfänger und "Quelle" der Finanzierung nicht in einer Weise verändert worden, die die Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem gemeinsamen Markt beeinflussen würde.

Zur Ausnahme vom Beihilfenverbot für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse beruft sich die Kommission auf die Rundfunkmitteilung 2001 (eine Neufassung ist derzeit in Vorbereitung, siehe hier mit weiteren Verlinkungen), sowie auf das Protokoll von Amsterdam. Die Definition des öffentlichen Auftrags, auch wenn sie weit sei ("certaines missions de service public sont de nature générale et plutôt qualitative"), sei hinreichend bestimmt und legitim. Zur Kontrolle der Auftragserfüllung verweist die Kommission auf die Berichtspflicht an die Regulierungsbehörde; diese Behörde müsse die Berichte auch bewerten und bei schweren Pflichtverletzungen den Verwaltungsrat informieren. Der Verwaltungsrat besteht aus zwei Abgeordneten, fünf staatlichen Vertretern und fünf qualifizierten Personen (doch, genau so steht es dort: "il y a deux parlementaires, cinq représentants de l’État et cinq personnalités qualifiées" - ich hätte ja eher von fünf weiteren qualifizierten Personen gesprochen, um Missverständnisse zu vermeiden). Dabei handle es sich um Außenstehende, die ohne Zurückhaltung ihre Wahrnehmungen zum Ausdruck bringen können.

Kritische Anmerkungen fand die Kommission im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit: das französische Recht biete keine ausreichenden Garantien gegen eine allfällige Überkompensation. Da sich Frankreich aber zu Modifikationen der Rechtsvorschriften bereit erklärte, mit denen sichergestellt werden sollte, dass alle aus der Beihilfenfinanzierung erzielten Vorteile wieder in den öffentlichen Auftrag investiert werden, konnte die Kommission das Verfahren dennoch schließen.

TF1 war damit nicht einverstanden und brachte wieder Klage beim EuG ein. Neben Verfahrensmängeln macht TF1 die unzureichende Tragweite der Zusagen des französischen Staates geltend. Diese seien nicht geeignet, die Vereinbarkeit der Regelung mit den für staatliche Beihilfen geltenden Gemeinschaftsregeln zu gewährleisten. Außerdem scheine die Kommission die Festellung, ob eine Beihilfe vorliege, den nationalen Behörden zu überlassen, obwohl diese Kontrolle in die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission falle.

Nach den zwischenzeitig ergangenen Urteilen des EuG in den Rechtssachen SIC (siehe dazu hier) und TV2 (dazu hier) ist an der Zulässigkeit einer weiten Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags wohl ebensowenig zu zweifeln wie an der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, diese Definition aus eigenem festzulegen. Dennoch ist es - auch im Hinblick auf das aktuelle Beihilfenverfahren gegenüber Österreich oder die ständigen Streitigkeiten zum eigentlich abgeschlossenen Beihilfenverahren gegen Deutschland - jedenfalls spannend, wie das EuG die Qualität und Tragweite der französischen Zusagen im Beihilfenverfahren beurteilen wird.

Fortsetzung folgt:
Wie auch immer das EuG entscheidet, die Auseinandersetzung zwischen TF1 und dem französischen Staat wegen (vermuteter unzulässiger) Beihilfen zugunsten des öffentlich-rechtlichen France Télévisions geht - auch unabhängig von allfälligen Rechtsmitteln an den EuGH - jedenfalls in die nächste Runde: mit Klagen vom 17. Dezember 2008 haben sowohl M6 (gehört ebenfalls zu Bouygues) als auch TF1 die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 16. Juli 2008, N 279/2008-France beantragt (Rechtssachen T-568/08 und T-573/08). Mit dieser Entscheidung (hier das Schreiben an den Mitgliedstaat) hatte die Kommission eine notifzierte Kapitalzuführung an France Télévisions in der Höhe von € 150 Mio. als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar beurteilt. Die Kapitalzuführung sollte die Mindereinnahmen aus der Werbung im Vergleich zwischen 2007 und 2008 abdecken, und die Kommission auch die nachträgliche Überprüfung (innerhalb von drei Monaten nach dem Rechnungsabschluss für 2008), ob diese Mittelzuführung nicht über den notwendigen Umfang hinausgegangen ist.

update 11.3.2009: der peinliche Tippfehler im Titel dieses Beitrags ist nun behoben (dort stand EuGH statt richtig EuG)

Sunday, March 08, 2009

Lesestoff

Wieder einmal ein paar Hinweise auf Interessantes zum Lesen:

Kommission zur "anscheinend ineffizienten Regulierung der Vorleistungsebene" in Österreich

Die Kommission, die sich ja als eigentliche europäische Regulierungsbehörde sieht (jedenfalls in den Worten der Kommissarin Reding, die gerne von "my approach as a regulator" spricht), nutzt ihre "Comments-Letters" im Verfahren nach Art 7 der Rahmenrichtlinie immer wieder für oft recht heftige Kritik an nationalen Regulierungsbehörden.

Nun hat es die österreichische Regulierungsbehörde erwischt: in einem am 6. März veröffentlichten Brief zur Konsultation betreffend die mittlerweile "dritte Runde" der Marktdefinition leitet die Kommission zwar kein "Phase II"-Verfahren ein, äußert sich aber inhaltlich recht skeptisch zum Vorhaben der RTR, den Markt für Inlands- und Auslandstelefonverbindungen im öffentlichen Telefonnetz für Nichtprivatkunden an festen Standorte als relevanten Markt in einer Novelle zur TKMVO festzulegen. Hier die zentralen Ausführungen der Kommission in den "Comments":
"In diesem Zusammenhang nimmt die Kommission Kenntnis von der anscheinend ineffizienten Regulierung der Vorleistungsebene im Nichtprivatkunden- Gesprächsmarkt in Österreich. Die Nutzung von CS/CPS [Carrier Selection/Carrier PreSelection] geht zurück, WLR [wholesale line rental] wurde vom Markt nie angenommen und die VoB-Nutzung [Voice over Broadband] erfolgt auf relativ niedrigem Niveau. Die RTR-Analyse zeigt, dass obschon CS/CPS, VoB und die Substitution der Festnetztelefonie durch die Mobilfunktelefonie im Privatkundenmarkt an Bedeutung gewonnen haben, sie immer noch einen lediglich begrenzten Wettbewerbsdruck im Nichtprivatkundenmarkt bewirken. ...
Darüber hinaus teilt die Kommission der NRB mit, dass auf der Grundlage der übermittelten Informationen zur Marktabgrenzung allein die Kommission nicht in der Lage ist zu entscheiden, ob beide notwendigen Prüfungen für die Vorabregulierung, also der Drei-Kriterien-Test und die Prüfung der beträchtlichen Marktmacht, erfüllt sind. Die Kommission kann folglich nicht ausschließen, dass sie sich zum Zeitpunkt der Notifizierung der notwendigen Prüfung der beträchtlichen Marktmacht und der vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen durch die NRB gegen die Vorabregulierung in dem betreffenden Markt aussprechen wird.
In jedem Fall ersucht die Kommission die NRB, sich um die Verbesserung der Effizienz der bestehenden Abhilfemaßnahmen auf Vorleistungsebene im Zusammenhang mit der Marktanalyse des notifizierten Markts oder der relevanten Vorleistungsmärkte zu bemühen und die Abhilfemaßnahmen in geeigneter Weise zu ändern, um den Wettbewerb im Endkundenmarkt zu stärken, bevor in Betracht gezogen wird, einem Betreiber im Endkundenmarkt Abhilfemaßnahmen aufzuerlegen.
Wenngleich die Kommission die vorgeschlagene Abgrenzung des relevanten Markts nicht in Abrede stellt, ersucht sie die NRB, dem obigen Rat bei ihrer Bewertung der beträchtlichen Marktmacht strikt zu folgen."
Ein interessanter Zugang: bei den "remedies" (Abhilfemaßnahmen) hat die Kommission derzeit kein Vetorecht (das will sie mit der Reform des Rechtsrahmens ändern) - aber über den Umweg ihrer Vetomöglichkeiten bei der Marktdefinition und Marktanalyse in einem Endkundenmarkt versucht sie doch Einfluss auf die remedies im Vorleistungsmarkt zu gewinnen.

PS: Für die Einleitung des Phase II-Verfahrens dürfte es allerdings auch zu spät gewesen sein: die Stellungnahme der Kommission ist mit 2. März 2009 datiert, die Notifikation ist aber, so wird in der Stellungnahme festgehalten, schon am 30. Jänner eingelangt und an diesem Tag wirksam geworden.

ORF-Mediathek: doch "Kangaroo" in Austria?

"Kangaroo on walkabout in Austria" titelte BBC-News - allerdings ist das drei Jahre her und betraf ein ganz reales Känguru, nicht das im UK vor kurzem an der Wettbewerbskommission gescheiterte "Project Kangaroo", mit dem unter anderem Archivmaterial der BBC online angeboten werden sollte (siehe dazu näher hier). Dennoch stellt sich die Frage, ob nicht das Projekt einer ORF-Mediathek, die "als digitale Plattform eine bedeutsame Marktposition auf dem Online-Sektor einnehmen soll" (so wird der Vertrag im Standard zitiert) sozusagen als kleines Känguru geplant war (vielleicht eine Art "project wallaby"?).

Der ORF selbst erwähnt in seiner Aussendung nur eine DVD-Edition, was allerdings den (im aktuellen profil [nicht online] auch faksimiliert wiedergegebenen) Absatz im Vertrag über die "bedeutsame Marktposition auf dem Online-Sektor" nicht erklärt. Einzelne Stiftungsräte des ORF (Radel, Krammer, Küberl) haben inzwischen Bedenken - teilweise auch rechtlicher Natur - zum Vertragsschluss angemeldet.

Wie die Sache rechtlich einzuschätzen ist, kann man auf Basis der bisher veröffentlichten Informationen nicht sagen; hier einmal ein Hinweis auf die Rahmenbedingungen: Nach § 21 Abs 2 Z 11 ORF-G ist unter anderem zur Veräußerung von "Verwertungsrechten an Urheberrechten, deren Wert im Einzelfall 1 Million Euro übersteigt" die Zustimmung des Stiftungsrats erforderlich; das selbe gilt nach § 21 Abs 2 Z 15 ORF-G zur Aufnahme von Geschäftszweigen. Nach § 21 Abs 3 ORF-G hat der Generaldirektor überdies die Zustimmung des Stiftungsrates einzuholen, falls er bei verbundenen Unternehmen an solchen Geschäften durch Weisung, Zustimmung oder Stimmabgabe mitwirkt. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage müsste daher in den Gesellschaftsvertrag der jeweiligen (Tochter-)Gesellschaft ein dem § 21 Abs 2 ORF-G vergleichbarer Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte aufgenommen werden.

Der strittige Vertrag wurde nicht vom ORF, sondern von der Tochtergesellschaft ORF-Enterprise GmbH & Co KG, abgeschlossen, deren Aufsichtsratsvorsitzender ORF-Generaldirektor Wrabetz ist (auch Online-Direktor Prantner ist übrigens Mitglied des Aufsichtsrats).

Fasst man das zusammen, hätte der Vertrag also dann die Zustimmung durch den ORF-Stiftungsrat gebraucht, wenn damit Verwertungsrechte von mehr als 1 Million Euro veräußert wurden oder es sich um die Aufnahme eines neuen Geschäftszweiges handelt. In diesem Fall wäre nämlich der Aufsichtsrat der ORF-Enterprise GmbH & Co KG zu befassen gewesen und da dort der ORF-Generaldirektor mitwirkt, hätte er die Zustimmung des Stiftungsrates einholen müssen - und zwar, jedenfalls nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage, "ehe die (Tochter-)Geselllschaft die in Abs. 2 genannten Maßnahmen durchführt." Das Erreichen der 1 Million-Euro- Wertgrenze wird allerdings von ORF-Kommunikationschef Strobl dementiert, wenn auch etwas vorsichtig; so hieß es in der APA (hier in der Presse): "Dass diese Grenze überschritten wird, glaubt Strobl nicht."

Damit stehen derzeit zwei Varianten im Raum:
  • Entweder es handelt sich um einen Routinevertrag einer Tochtergesellschaft des ORF, der weder in der Tochtergesellschaft noch im ORF selbst der Zustimmung des Aufsichts- bzw Stiftungsrats bedürfte (weil unter 1 Mio Euro und auch kein neuer Geschäftszweig) - in diesem Fall müsste einem ORF-Generaldirektor Wrabetz (entgegen der Meinung von Staatssekretär Ostermayer) vielleicht doch ein wenig leidtun: es ist zumindest ungewöhnlich, dass Aufsichtsratsmitglieder (bzw Stiftungsratsmitglieder) Detailfragen zu einem Routinevertrag einer Tochtergesellschaft in der Öffentlichkeit diskutieren.
  • Oder aber - so die Ansicht von ORF-Stiftungsrat Karl Krammer - es liegt ein zustimmungspflichtiger Vertrag vor, der ohne Zustimmung des Stiftungsrats geschlossen wurde. Dann aber wäre "leidtun" wohl tatsächlich keine relevante Kategorie mehr.
Update 10.3.2009: Mittlerweile wurde der Vertrag laut Medienberichten einvernehmlich aufgelöst.

Wednesday, March 04, 2009

EuGH, Rs C-222/07 UTECA: Sprache ist Kultur genug

Die spanischen Regelungen, nach denen TV-Veranstalter 5% ihrer jährlichen Einkünfte in die Vorfinanzierung europäischer Spiel- oder Fernsehfilme investieren müssen (und davon wieder 60% in Produktionen in einer in Spanien als Amtssprache anerkannten Sprache), verstößt nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Mit dem heutigen Urteil in der Rechtssache C-222/07 UTECA (siehe auch die Presseaussendung des EuGH) folgt der EuGH den Schlussanträgen von Generalanwältin Kokott (siehe dazu näher hier).

Knapp zusammengefasst:
1. die audiovisuelle Mediendienste-RL steht der Verpflichtung jedenfalls nicht entgegen, da es sich dabei um eine Mindestrichtlinie handelt, die strengere Bestimmungen ausdrücklich zulässt.
2. die Verpflichtung, 5% der Einkünfte in europäische Produktionen zu stecken, schränkt die Grundfreiheiten nicht ein (daher ist nicht einmal eine Abwägung im Hinblick auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses notwendig).
3. Anders bei der Verpflichtung, 3% der Einkünfte in Filme mit einer in Spanien als Amtssprache anerkannten Originalsprache zu investieren: dadurch werden der freie Dienstleistungsverkehr, die Niederlassungsfreiheit, der freie Kapitalverkehr und auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränkt.
4. Diese Beschränkungen sind allerdings durch das im zwingenden Allgemeininteresse liegende Ziel des Schutzes einer oder mehrerer der Amtssprachen des Mitgliedstaates gerechtfertigt (und angesichts der "nur" 3% der Einkünfte auch nicht unverhältnismäßig).
5. Ob es sich bei den damit finanzierten Filmen um "Kulturerzeugnisse" handelt, ist egal: "das von einem Mitgliedstaat verfolgte Ziel, eine oder mehrere seiner Amtssprachen zu schützen oder zu fördern, [muss] nicht zwangsläufig von weiteren kulturellen Kriterien begleitet werden, damit es eine Einschränkung einer der vom EG-Vertrag verbürgten Grundfreiheiten rechtfertigen kann." Mit anderen Worten: Sprache ist Kultur genug.
6. Bei der Regelung handelt es sich auch um keine staatliche Beihilfe.

Wie ich schon nach den Schlussanträgen angemerkt habe: der Spielraum der Mitgliedstaaten für Maßnahmen zur Förderung nationaler Kultur - auch durch kreative Quotenregelungen im Rundfunk - ist damit recht weit abgesteckt. Vielleicht müsste man sich allerdings in Österreich noch fragen, wieweit man speziell österreichisches Deutsch fördern könnte, etwa im Sinne des Kurier-Filmkritikers Rudolf John, der zum Film "ECHTE WIENER - Die Sackbauer Saga" geschrieben hat:

"Der immer aus der Seele gesprochene wienerische Dialekt gehört zu den bedrohten Arten genialer menschlicher Kommunikation. Spuren seiner raunzig-lieblichen Melodie, schwarzhumorigen Treffsicherheit, abgefeimten Hinterfotzigkeit und gemütlicher Bösartigkeit sind in den sonst leider liebesbemüht allgemein verständlichen Dialogen enthalten. Solch kostbares Gut in Zeiten der Wenzel-Lüdecke-Inflation braucht Schutzzonen. Eben wie diese."

Da nach dem nunmehrigen EuGH-Urteil die Förderung der besonderen Sprache schon reicht, ohne dass noch irgendwelche kulturellen Mindestkriterien erfüllt werden müssten, stünde das Gemeinschaftsrecht also auch einer allfälligen "Mundl-Quote" nicht entgegen.

EuGH: ISP ist "Vermittler" im Sinne der Info-Richtlinie

Inhaber von Schutzrechten können nach der RL 2001/29 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft gegen Internet-Access-Provider, deren "Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden" (etwa beim P2P-Filesharing urheberrechtlich geschützter Werke), gerichtliche Anordnungen beantragen. Das hat der EuGH nun in seinem Beschluss vom 19. Februar 2009 in der Rechtssache C-557/07 LSG entschieden (in einem Beschluss - und nicht Urteil - deshalb, weil die Beantwortung der Vorlagefrage "keinen Raum für vernünftige Zweifel" gelassen habe); wörtlich heißt es:
"Ein Access-Provider, der den Nutzern nur den Zugang zum Internet verschafft, ohne weitere Dienste wie insbesondere E‑Mail, FTP oder File-Sharing anzubieten oder eine rechtliche oder faktische Kontrolle über den genutzten Dienst auszuüben, ist 'Vermittler' im Sinne des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29."
Auch die zweite vorgelegte Frage war für den EuGH einfach, da er sich hier auf die am 29. Jänner 2008 entschiedene Rechtssache C-275/06 Promusicae (siehe dazu hier) stützen konnte. Dort war er zum Ergebnis gekommen, dass die Richtlinien 2000/31/EG (e-Commerce-RL), 2001/29/EG (Urheberrechte-Informationsgesellschaft-RL), 2004/48/EG ("enforcement"-RL) und 2002/58/EG (DatenschutzRL elektronische Kommunikation) den Mitgliedstaaten nicht gebieten, eine Pflicht der Telekommunikationsnetz-Betreiber zur Mitteilung personenbezogener Daten (IP-Adressen) an Urhebergesellschaften im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorzusehen.
Die Fragen des österreichischen Oberste Gerichtshofs (vorgelegt noch vor der Entscheidung in der Sache Promusicae, allerdings nach Vorliegen der dort erstatteten Schlussanträge und unter ausdrücklciher Bezugnahme darauf), zielten aber darauf ab, ob die genannten Richtlinien die Weitergabe nicht nur "nicht gebieten", sondern vielleicht sogar verbieten. Der EuGH sah auch diese Frage schon durch die Entscheidung Promusicae klargestellt, da er schon dort ausgesprochen hat, "dass die Richtlinie 2002/58, insbesondere ihr Art. 15 Abs. 1, es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, eine Pflicht zur Weitergabe personenbezogener Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorzusehen, sie dazu aber auch nicht verpflichtet." Das Ergebnis für die (zweite) Frage des OGH daher:
"Das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Art. 8 Abs. 3 der RL 2004/48/EG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 der RL 2002/58/EG, hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, eine Verpflichtung zur Weitergabe personenbezogener Verkehrsdaten an private Dritte zum Zweck der zivilgerichtlichen Verfolgung von Urheberrechtsverstößen aufzustellen. Die Mitgliedstaaten sind aber gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, darauf zu achten, dass ihrer Umsetzung der RL 2000/31/EG, 2001/29/EG, 2002/58 und 2004/48 eine Auslegung derselben zugrunde liegt, die es erlaubt, die verschiedenen beteiligten Grundrechte miteinander zum Ausgleich zu bringen. Außerdem müssen die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinien nicht nur ihr nationales Recht im Einklang mit Letzteren auslegen, sondern auch darauf achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung dieser Richtlinien stützen, die mit den Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts wie etwa dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kollidiert."
Wie diese Auslegung nun aber konkret auszusehen hätte, bleibt damit weiter offen. Der EuGH schiebt die Verantwortung dem Mitgliedstaat zu - dieser muss seiner Richtlinienumsetzung eine Auslegung dieser vier (nicht ganz konsistenten) Richtlinien zugrundelegen, die einen Ausgleich der beteiligten Grundrechte ermöglicht und die Verhältnismäßigkeit wahrt. Daraus wird man wohl ableiten können, dass eine bedingungslose Herausgabepflicht außerhalb eines Gerichtsverfahrens schon bei bloßer Behauptung eines (geringfügigen) zivilrechtlichen Anspruchs wohl zu weit gehen dürfte - aber wo die Grenze wirklich liegt, lässt sich auch nach dem nun vorliegenden Beschluss nicht zuverlässig sagen.

In diesem Zusammenhang ein Literaturhinweis: Franz Schmidbauer setzt sich in einem jüngst erschienenen Aufsatz mit dem Titel "Konsument oder Urheberrechtsverbrecher?" mit einschlägigen Fragen auseinander. Seine Hoffnung, die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache LSG könne "eine Klärung der in ganz Europa strittigen Frage bringen, unter welchen Voraussetzungen der Inhaber einer an sich anonymen IP-Adresse offengelegt werden darf und muss," wurde allerdings wenige Tage nach der Veröffentlichung durch den nun vorliegenden Beschluss enttäuscht.