Friday, July 06, 2012

kino.to und kein Ende: neues EuGH-Verfahren zu Internetsperren

Können Rechteinhaber verlangen, dass Internetprovider ihren Kunden den Zugang zu bestimmten Websites sperren, weil dort geschützte Filmwerke ohne Einwilligung der Rechteinhaber zugänglich gemacht werden? Darum geht es in einem Verfahren, das die Inhaber von Rechten an drei Filmen, die auf kino.to zugänglich waren, Ende 2010 gegen den österreichischen Internetprovider UPC Telekabel angestrengt haben. Das Verfahren wird auf Seite der Rechteinhaber mit Unterstützung des "Vereins für Anti-Piraterie der Film- und Videobranche (VAP)" geführt und ist ausdrücklich als Musterprozess angelegt.

Nachdem im Provisorialverfahren (zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung) die ersten beiden Instanzen dem Internetprovider untersagt hatten, seinen  Kunden den Zugang zu kino.to zu vermitteln, hat der Oberste Gerichtshof nun mit Beschluss vom 11. Mai 2012, 4 Ob 6/12d, dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das Verfahren ist beim EuGH zu C-314/12 UPC Telekabel Wien anhängig. Die Fragen lauten:
1. Ist Art 8 Abs 3 RL 2001/29/EG (Info-RL) dahin auszulegen, dass eine Person, die ohne Zustimmung des Rechteinhabers Schutzgegenstände im Internet zugänglich macht (Art 3 Abs 2 Info-RL), die Dienste der Access-Provider jener Personen nutzt, die auf diese Schutzgegenstände zugreifen?
2. Wenn Frage 1 verneint wird:
Sind eine Vervielfältigung zum privaten Gebrauch (Art 5 Abs 2 lit b Info-RL) und eine flüchtige und begleitende Vervielfältigung (Art 5 Abs 1 Info-RL) nur dann zulässig, wenn die Vorlage der Vervielfältigung rechtmäßig vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich zugänglich gemacht wurde?
3. Wenn Frage 1 oder Frage 2 bejaht wird und daher gegen den Access-Provider des Nutzers gerichtliche Anordnungen nach Art 8 Abs 3 Info-RL zu erlassen sind:
Ist es mit dem Unionsrecht, insbesondere mit der danach erforderlichen Abwägung zwischen den Grundrechten der Beteiligten, vereinbar, einem Access-Provider ganz allgemein (also ohne Anordnung konkreter Maßnahmen) zu verbieten, seinen Kunden den Zugang zu einer bestimmten Website zu ermöglichen, solange dort ausschließlich oder doch weit überwiegend Inhalte ohne Zustimmung der Rechteinhaber zugänglich gemacht werden, wenn der Access-Provider Beugestrafen wegen Verletzung dieses Verbots durch den Nachweis abwenden kann, dass er ohnehin alle zumutbaren Maßnahmen gesetzt hat?
4. Wenn Frage 3 verneint wird:
Ist es mit dem Unionsrecht, insbesondere mit der danach erforderlichen Abwägung zwischen den Grundrechten der Beteiligten, vereinbar, einem Access-Provider bestimmte Maßnahmen aufzutragen, um seinen Kunden den Zugang zu einer Website mit einem rechtswidrig zugänglich gemachten Inhalt zu erschweren, wenn diese Maßnahmen einen nicht unbeträchtlichen Aufwand erfordern, aber auch ohne besondere technische Kenntnisse leicht umgangen werden können?
Nach Art 8 Abs 3 der Info-RL stellen die Mitgliedstaaten sicher, "dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden." Der OGH möchte daher zunächst (Frage 1) geklärt haben, ob sozusagen der kino.to-Betreiber nicht nur Dienste seines Access-Providers nutzt, sondern auch Dienste jenes Access-Providers, über den der Betrachter der Filme ins Netz geht. Ist das nicht der Fall,  kommt es darauf an, ob auch die bloßen Nutzer rechtswidrig zugänglich gemachter Inhalte eine Rechtsverletzung begehen, denn dann wäre UPC jedenfalls Vermittler einer Rechtsverletzung im Sinne des Art 8 Abs 3 Info-RL und damit wären Anordnungen nach dieser Bestimmung möglich (Frage 2).

Damit bleiben die Fragen nach dem möglichen Inhalt solcher Anordnungen: Einiges ist durch die EuGH-Urteile in den Rechtssachen Scarlet Extended (im Blog dazu hier) und SABAM (im Blog dazu hier) bereits geklärt; offen scheint aber noch, ob eine allgemeine Sperranordnung (wie hier: den Kunden dürfte der Zugang zu einer bestimmten Website nicht ermöglicht werden) zulässig ist, wenn das Gericht erst im Nachhinein (nach österreichischem Recht wäre das bei der Vollstreckung von Beugestrafen) eine Prüfung vornehmen könnte, ob die Maßnahmen die Grundrechte der Beteiligten angemessen berücksichtigen und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Der OGh geht davon aus, dass die damit verbundene Rechtsunsicherheit bei Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen aller Beteiligten unzumutbar sein dürfte und will mit Frage 3 eine Klarstellung erreichen.

Besonders deutlich werden die Zweifel des OGH gegenüber Sperranordnungen bei der Begründung der Frage 4: wären dem Access Provider konkrete Maßnahmen aufzutragen, so käme die Sperre der Domain des Anbieters auf dem DNS-Server des Access Providers oder die Sperre der jeweiligen IP-Adressen der Website in Betracht. Dabei stelle sich, so der OGH, eine grundlegende Frage:
"Es ist allgemein bekannt, dass die eingangs genannten Sperren auch ohne besondere technische Kenntnisse leicht umgangen werden können. Zudem verhindern sie selbst bei einem vorläufigen Erfolg nicht, dass rechtswidrige Inhalte binnen kurzem unter einer anderen Domain angeboten werden. Die Entwicklung bei kino.to ist insofern bezeichnend: Die Website wurde nicht etwa vom Netz genommen, weil sie wegen einer Sperre durch Access-Provider unrentabel geworden wäre, sondern weil Sicherheitsbehörden in mehreren Staaten gegen die Betreiber vorgegangen waren. Bald darauf waren vergleichbare Inhalte aber wieder - nun auf kinox.to - im Internet verfügbar. Unter diesen Umständen erscheint es von vornherein fraglich, ob die von den Klägerinnen gewünschten Sperren dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen und geeignet sind, zu einem angemessenen Ausgleich zwischen den Grundrechten der Beteiligten zu führen."
Weil das aber von Gerichten in der Europäischen Union unterschiedlich beurteilt wird, soll eine Klärung durch die Antwort auf Frage 4 des Vorlagebeschlusses erreicht werden.

Update 27.11.2013: zu den Schlussanträgen des Generalanwaltes vom 26.11.2013 siehe hier.

2 comments :

Jörg Schaller said...

Ein Punkt, der ausser Acht gelassen wurde, ist der des "Shared Hosting". Es gibt zahlreiche Provider, die unter der gleichen IP-Adresse eine Vielzahl verschiedener Webseiten hosten. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es ebenfalls unverhältnismässig, eine bestimmte IP-Adresse zu sperren.

Es erscheint daher insgesamt unpraktikabel, den Access-Provider in Anspruch zu nehmen, vielmehr sollte man sich nach Möglichkeit an den Content Provider halten und nötigenfalls hierfür entsprechende internationale rechtliche Grundlagen schaffen.

Eine praktisch orientierte Lösung könnte ein Vorgehen ähnlich der amerikanischen "DMCA Takedown Notice" darstellen, nach der der Provider, unabhängig von seinem Sitz, selbst die Seite aufgrund gerichtlichen Beschlusses vom Netz nehmen muss.

OG said...

Eines, was ich nie verstehen werde, ist warum in deutschsprachigen Blogs Links zu InfoCuria in englischer Sprache gesetzt werden, und nicht zu einer der vielen Sprachfassungen - zum Beispiel auf Deutsch:

http://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&num=C-314/12