Wednesday, October 26, 2016

Blog-Jubiläum: sag nach zehn Jahren leise "meta"

Ich habe 2006 mit diesem Blog begonnen. Zuerst eher als Ergänzung zu meinen Telekomrecht-Vorlesungen, später als eine Art öffentliches Notizbuch zu aktuellen Entwicklungen im österreichischen und europäischen Telekommunikations-, Rundfunk- und Medienrecht. Das Blog diente der Information einiger Studierender, primär aber mir selbst, um bei Bedarf rasch die relevanten Entscheidungen oder sonstige Quellen in diesem Rechtsbereich abrufbar zu haben.

Über die Jahre hinweg fand das Blog dennoch eine größere Leserschaft: soweit ich das beurteilen kann, dürfte es das bekannteste juristische Blog Österreichs sein. Verantwortlich dafür waren natürlich nicht die sperrigen Beiträge über Feinheiten des Telekomrechts, sondern vor allem der zweite Themenfokus: Rundfunk- und Medienrecht, Medienfreiheit und Medienpolitik. Gerade in diesem Bereich wurden Blog-Beiträge immer wieder auch von anderen Medien zitiert.

Ein erfolgreiches Blog schafft auch Erwartungen: als in den letzten zwei, drei Jahren die Beitragsfrequenz deutlich zurückging, wurde ich häufiger gefragt, warum ich zB über bestimmte Entscheidungen oder Rechtsentwicklungen nicht geschrieben habe. Meist war es schlicht eine Zeit- und Prioritätenfrage, denn das Blog ist ein Freizeit-Projekt, und bei knapper Freizeit ist anderes wichtiger. Aber auch meine eigenen - ohnehin recht zurückgenommenen - Erwartungen an das Blog erfüllte ich immer weniger. Ein optischer Relaunch wäre angebracht, für den ich mir letztlich nie Zeit genommen habe. Nicht verwendete Unterlagen stapeln sich im Schrank, angefangene Blogposts dümpeln im Entwürfe-Ordner. Wenn ich nicht ausreichend Zeit dafür finde, so dachte ich immer öfter, ist vielleicht der Zeitpunkt gekommen, das Blog-Projekt zu beenden.

Warum eigentlich Bloggen? Einige klassische Begründungen ziehen in meinem Fall nicht: ich muss nichts verkaufen, ich brauche kein persönliches "Branding", und ich muss keine "Ich AG"-Marke pflegen. Ich muss nicht bekannt werden, um Aufmerksamkeit, Arbeitsangebote oder Aufträge zu bekommen - eher im Gegenteil: zuviel Aufmerksamkeit schadet meinem Ruf (wer in Zeitungen zitiert oder interviewt wird, hört bald einmal, er solle sich nicht so wichtig machen), beruflich habe ich als Richter an einem Höchstgericht weder den Willen noch die Notwendigkeit (noch, realistisch, die Möglichkeit) einer Veränderung, und bezahlte Aufträge für Gutachten etwa dürfte ich gar nicht annehmen.

Auch für meine akademische Rolle als Honorar-Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien ist das Bloggen eher Luxus. In der universitären Welt der Rechtswissenschaft ist das gedruckte Papier (und seine Erfassung in Datenbanken) die Leitwährung. Jede Notiz in einer Fachzeitschrift, auch wenn darin gerade einmal Erläuterungen zu einer Regierungsvorlage nacherzählt werden, bringt auf einer Publikationsliste mehr Renommee als ein paar Dutzend Blogposts. Gerade noch für die "Wissensbilanz" könnte das Blog nützlich sein, wenn auch indirekt: denn in der verqueren Welt der Wissenschaftsevaluierung zählen (an manchen Universitäten, hier ein Beispiel aus Graz) auch "Nennungen in den Medien" als wissenschaftliche Leistung (Blogposts selbst könnte man allenfalls an letzter Stelle des performance records unter "Andere Leistung für ein nichtfachwiss. Publikum - science to public" unterbringen). Ich bin froh, dass ich auf solche Nachweise meiner Bedeutung für die Welt nicht angewiesen bin.

Aber es stimmt jedenfalls, dass Bloggen die Bekanntheit steigert: in der österreichischen juristischen Community habe ich damit ein gewisses Alleinstellungsmerkmal, auf das mich viele ansprechen (auch wenn ich unsicher bin, ob das nicht eher als Skurrilität gewertet wird). Doch auch dieser Vorteil eines Blogs - als Experte auf einem bestimmten Gebiet sichtbarer zu werden - schlägt in meiner besonderen Situation fast in einen Nachteil um. Zu den im Blog behandelten Themen bekomme ich nämlich häufig Einladungen zu Vorträgen oder Lehrveranstaltungen, Interviewanfragen oder Bitten um weitere Informationen oder Fachbeiträge; manchmal werden mir auch sonstige Funktionen angetragen. Das ist zwar schön, weil - und soweit - es mit Anerkennung verbunden ist, aber es ist auch unangenehm, auf diese Anfragen immer öfter ablehnend reagieren zu müssen. So versuche ich zB in letzter Zeit, die Zahl der Vorträge pro Jahr mit zwei zu begrenzen (in der Regel werden es dann ohnehin noch drei oder vier, weil ich jemandem aus besonderen Gründen einen Wunsch nicht abschlagen kann).

Für mich ist also eher Rückzug angesagt als Eigenmarketing - ein gewisses Dilemma, wenn man ein öffentliches Blog betreibt.

Zudem hat das Blog doch einen ganz wesentlichen Vorteil: es ist vollkommen selbstbestimmt. Ich kann, aber ich muss nicht schreiben; ich alleine entscheide über Thema, Inhalt, Umfang und Form meiner Beiträge. Ich bin nicht von AbonnentInnen abhängig, deren Interessen ich treffen sollte, und es gibt keine Werbung, für die ich ein beständiges "Umfeld" schaffen müsste.

Dieser Vorteil der selbstbestimmten Plattform ist mir in letzter Zeit etwas verschütt gegangen: zu oft habe ich daran gedacht, was ich eigentlich noch schreiben wollte oder sollte, und zu selten kam ich wirklich zum Schreiben. Diese Diskrepanz zwischen (vor allem: eigenem) Anspruch und Wirklichkeit ließ mich zunehmend unzufriedener werden mit dem Blog - bis hin zu der oben schon angesprochenen Frage, ob es nicht an der Zeit wäre, das Blog-Projekt zu beenden.

Also habe ich heute einmal meine Optionen durchgedacht.
Die Option, das Blog ganz vom Netz zu nehmen, habe ich gleich ausgeschieden, das wäre unfair gegenüber allen, die darauf verlinken und das Blog auch als Referenzquelle nutzen, um rasch Zugang zur einschlägigen EuGH- und EGMR-Rechtsprechung zu finden. Es steckt auch einige Arbeit in den bisher weit über 1.000 Blog-Beiträgen (exakt 1.112, falls die Blogger-Software das richtig zählt). Und vor allem die Rechtsprechungsübersichten nutze ich auch selbst regelmäßig.

Das Blog wieder heranführen zu wollen an die "Blütezeit" etwa zwischen 2008 und 2011, als die thematisch relevanten Entwicklungen ziemlich durchgängig in drei bis vier Beiträgen pro Woche dokumentiert wurden, wäre auch keine realistische Option. Dazu fehlen mir die zeitlichen Ressourcen bzw. will ich meine Freizeit einfach anders verbringen.

Überlegenswert wäre auch, das Blog einzubetten/einzubringen in ein anderes, vielleicht größeres Projekt - ein Gemeinschaftsblog etwa. Auch das würde aber zunächst einen Mehraufwand bedeuten, den ich mir derzeit schlicht nicht antun möchte.

Also bleibt mir letztlich nur die Wahl zwischen schlichtem Aufhören (und "Einfrieren" des Status quo) einerseits oder einem Weiterführen des Blogs - mehr oder weniger wie bisher - andererseits.

Ganz möchte ich dieses Blog derzeit nicht einstellen. Auch wenn der heutige "Jahrestag" - vor genau zehn Jahren habe ich mit diesem Blog begonnen - ein guter, weil markanter Zeitpunkt wäre, um mit dem Blog auch wieder aufzuhören, kann ich mich doch noch nicht ganz dazu durchringen.
Zum einen sollen die bisherigen Beiträge verfügbar bleiben, und natürlich auch die beiden Übersichten über einschlägige Entscheidungen des EuGH und des EGMR (obwohl gerade diese bei Gelegenheit neu gestaltet werden müssten). Zum anderen möchte ich es mir einfach offen halten, bei Lust und Laune weiterhin den einen oder anderen Beitrag hier zu schreiben. Die Blogposts werden wohl nicht häufiger werden als in den letzten zwei Jahren, aber ich lege mich bewusst nicht auf einen bestimmten Rhythmus fest (ich empfehle übrigens, das Blog per RSS-feed zu abonnieren oder per E-Mail-Abo).

Vielleicht schreibe ich bei Gelegenheit auch ein paar "Meta-Posts": zB über das juristische Bloggen im Allgemeinen, über Geschichten von tausendundeinem Blogpost vielleicht (oder eben aus 1.112 Blogposts) oder über Blogposts, die ich aus guten Gründen nie geschrieben habe (und vielleicht auch über solche, die ich gern geschrieben hätte, zu denen ich aber aber nicht gekommen bin).

Damit aber jetzt einmal genug von diesem "Meta"-Post - ich sitze gerade im Zug nach München, morgen werde ich dort auf den Medientagen auf einem Panel über die bevorstehende Reform der Richtlinie über audiovisuellen Mediendienste diskutieren - auch das ein Termin, der wohl auf dieses Blog zurückzuführen ist. Und auch das zeigt die Ambivalenz: so spannend es ist, morgen unter anderem mit der Berichterstatterin im Europäischen Parlament zur AVMD-Richtlinie zu diskutieren, so fein wäre es auch gewesen, den Feiertag heute noch etwas länger zur Gartenarbeit nutzen zu können. Aber, eh klar: selbst schuld! Auf ein paar weitere Monate, vielleicht auch Jahre mit diesem Blog!

Tuesday, October 25, 2016

EGMR: Verlagsgruppe News gegen Österreich: identifizierender Bericht über Treasurer der Hypo Alpe-Adria zulässig

Mit seinem heutigen Urteil im Fall Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich (Appl. no. 60.818/10) stellte der EGMR erstmals seit drei Jahren wieder eine Verletzung des Art. 10 EMRK durch Österreich fest. Die Entscheidung ist insofern nicht überraschend, als der EGMR in einem sehr ähnlichen Fall bereits 2012 eine Verletzung festgestellt hatte - damals war es um den selben von identifizierender Verdachtsberichterstattung betroffenen Bankmanager, aber um eine anders Medium gegangen. Bemerkenswert am heute entschiedenen Fall ist allerdings, dass es erstmals auch nach einer Entscheidung des Medien-Fachsenats am OGH zu einer Verurteilung Österreichs durch den EGMR gekommen ist.

Ausgangsfall
Der Ausgangsfall begann vor mehr als zehn Jahren. In seiner Ausgabe vom 10.04.2006 veröffentlichte das Magazin profil einen Artikel mit dem Titel "Schwere Hypothek", in dem über enorme Verluste der Hypo Alpe-Adria Bank aus Spekulationsgeschäften berichtet wurde. Der Artikel enthielt Kritik am Bankvorstand, nannte aber auch den Treasurer der Bank mit vollem Namen. Wörtlich hieß es in diesem Artikel unter anderem:
Als das Alarmsystem anschlug, hatte die Katastrophe längst ihren Lauf genommen. Am Mittwoch, dem 17. November 2004, zeigte das zur Risikosteuerung und -kontrolle eingesetzte Softwareprogramm in der Zentrale der Hypo Alpe-Adria-Bank in Klagenfurt an sämtlichen zuständigen Stellen des Hauses genau jene Daten, die Managern eines Kreditinstituts gemeinhin den kalten Schweiß auf die Stirn treiben: horrende Verluste im Veranlagungsgeschäft. [...]
Der für die Transaktionen verantwortlich zeichnende Treasury-Manager Christian Rauscher wurde daraufhin umgehend von seinem Arbeitsplatz verbannt. (Der Sohn des ehemaligen SPÖ-Finanzlandesrats Max Rauscher war für profil für eine Stellungnahme nicht erreichbar.) [...] Gegen Rauscher laufen beim Landesgericht Klagenfurt (Aktenzahl 3 St 79/06x) Vorerhebungen wegen Verdachts der Untreue, gegen den Vorstand steht der Vorwurf der unrichtigen Darstellung der Jahresabschlüsse, kurz gesagt der Bilanzfälschung, im Raum. [...]
Die inkriminierten Transaktionen wurden allesamt zwischen 20. September und 5. Oktober 2004 getätigt. Rauscher soll dabei laut Darstellung von Hypo-Boss Kulterer entgegen den Vorgaben mittels so genannter Swaps auf eine hochexplosive Mischung zweier Entwicklungen an den Finanzmärkten gesetzt haben: einerseits auf fallende Zinsen, andererseits auf einen Anstieg von Dollar und Yen gegenüber dem Euro.
Der genannte Treasury-Manager beantragte die Zuerkennung einer Entschädigung nach § 7a Abs. 1 Mediengesetz (Schutz vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen). Das Landesgericht für Strafsachen Wien wies seinen Antrag ab, das OLG Wien als Berufungsgericht drehte die Entscheidung jedoch um. Es sprach aus, dass durch die Veröffentlichung, "in der mehrmals der Name des Antragstellers Christian R***** als einer gerichtlich strafbaren Handlung Verdächtiger im Zusammenhang mit Spekulationsverlusten der H*****-Bank genannt wurde, Angaben über die Identität des Antragstellers veröffentlicht wurden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden seiner Identität zu führen, wodurch seine schutzwürdigen Interessen verletzt wurden, ohne dass wegen seiner Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat."
Die Medieninhaberin des profil, die Verlagsgrupep News GmbH, wurde gemäß § 7a Abs 1 Mediengesetz zur Zahlung einer Entschädigung von 3.000 € verpflichtet.

Die Medieninhaberin stellte einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens (entsprechend der Rechtsprechung, die in solchen Fällen eine analoge Anwendung des § 363a StPO zulässt), blieb damit aber erfolglos. Mit Beschluss vom 17.03.2010, 15 Os 95/09y, wies der OGH - in dem für "Fachsachen nach dem Mediengesetz" zuständigen Senat - den Erneuerungsantrag zurück.

Der OGH hielt fest, dass eine identifizierende Berichterstattung nur zulässig ist, "wenn und soweit dem Namen bzw sonstigen Identitätsmerkmalen des (hier:) Verdächtigen ein eigenständiger Informations- oder Nachrichtenwert zukommt. Dieser Informationswert muss, um die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung zu begründen, das schutzwürdige Anonymitätsinteresse des Betroffenen überwiegen." Für den konkreten Fall kam der OGH zum Ergebnis, dass das OLG Wien die Abwägung korrekt vorgenommen habe. Zu berücksichtigen sei auch, dass erst eine "frühe Verdachtslage" vorgelegen sei, weil der Artikel schon fünf Tage nach Einlangen der Anzeige der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) - die, darauf legt der OGH wert, "keine Strafverfolgungsbehörde ist" - veröffentlicht wurde (die Vorerhebungen gegen den Treasurer wurden erst sechs Wochen nach der Veröffentlichung eingeleitet; das Strafverfahren gegen ihn übrigens später gänzlich eingestellt). Der Hinweis auf die politische Funktion des Vaters des Verdächtigten sei thematisch nicht begründet gewesen. Dem Magazin, so hatte bereits das OLG Wien argumentiert, wäre die Möglichkeit "einer zwar investigativen, jedoch anonymitätswahrenden Reportage" offen gestanden, die Offenlegung des vollen Namens habe der bereits gebotenen Information nichts von öffentlichem Interesse hinzugefügt.

Das Urteil des EGMR
Das Ergebnis des EGMR überrascht nicht, weil - wie erwähnt - ein Parallelfall schon im selben Sinn vom EGMR entschieden wurde (Standard Verlags GmbH gegen Österreich [Nr. 3]). Damals ging es ebenfalls um eine Entschädigung wegen identifizierender Verdachtsberichterstattung nach § 7a Mediengesetz, die dem Treasurer der Hypo Alpe-Adria Bank vom OLG Wien zugesprochen worden war. Das Urteil des OLG Wien in jenem Fall datierte vom 14.02.2007, also noch vor der Rechtsprechung des OGH, die in solchen Fällen seit August 2007 einen Erneuerungsantrag an den OGH in analoger Anwendung des § 363a StPO zulässt. Die Beschwerde der Medieninhaberin des Standard lag dem EGMR somit schon deutlich früher - im August 2007 - vor, und der EGMR entschied "schon" im Jänner 2012, dass die Gründe, die das OLG Wien für die Zuerkennung der Entschädigung gefunden hatte, zwar "relevant", aber nicht "ausreichend" waren (mehr dazu im Blog hier; s. auch den Bericht des Standard über das EGMR-Urteil).

In seinem heutigen Urteil im Fall Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich (Appl. no. 60.818/10) kommt der EGMR (einstimmig) zum selben Ergebnis. Unstrittig war, dass ein Eingriff in das nach Art. 10 EMRK geschützte Recht vorlag, und dass dieser Eingriff auf Gesetz beruhte und einem legitimen Ziel diente. Zu prüfen war daher nur mehr, ob der Eingriff im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft unentbehrlich war.

Der EGMR verweist auf das Urteil im Fall Standard Verlags GmbH (Nr. 3), dem ein "einigermaßen ähnlicher" Sachverhalt zugrunde lag. Dennoch müsse der konkrete Einzelfall analysiert werden: "Even so, the Court emphasises that an examination of the case may lead to different conclusions as certain of the criteria of assessment defined by the Court’s case-law depend heavily on an assessment of the specific publication and the conduct of its author." (Abs. 37)

Allzu große Mühe macht sich der EGMR dann aber doch nicht mit der Einzelfallprüfung: er geht zwar der Reihe nach die "Caroline-Kriterien" durch (siehe dazu vor allem die Urteile der Großen Kammer Von Hannover Nr 2 [im Blog dazu hier], Axel Springer AG [im Blog dazu hier] und Couderc und Hachette Filipacchi Associés), bleibt dabei aber meist recht knapp:

- Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse Anders als der Beitrag im Standard behandelte der hier zu beurteilende Artikel nicht die Verbindungen zwischen der Politik und den Verlustgeschäften der Bank, sodass die Berichterstattung nicht schon aus diesem Grund zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beigetragen hat. Der EGMR verweist aber darauf, dass der Betroffene als Leiter der Treasury-Abteilung einer fast zur Hälfte im Eigentum des Landes Kärnten stehenden Bank für diese Bank Verträge über viele Millionen Euro eingehen konnte, wobei die Steuerzahler für einen Großteil der daraus entstandenen Verluste aufkommen müssen. Und auch wenn die FMA - wie der OGH betont hatte - keine Strafverfolgungsbehörde ist, so ist sie doch die wesentliche Aufsichtsbehörde über den Bankensektor, und sie hatte ausreichende Gründe für eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft gefunden. Damit kam der EGMR zum Ergebnis, dass der Artikel einen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leistete.

- Bekanntheit der Person, über die berichtet wird Der Betroffene war keine Person des öffentlichen Lebens und auch niemand, der das Licht der Öffentlichkeit gesucht hatte. Der EGMR begnügt sich hier mit dem Hinweis, dass die Frage, ob es sich beim Betroffenen um eine "public figure" handle, nur eines von mehreren Kriterien ist.

- Methode der Informationsbeschaffung und Wahrheitsgehalt des Berichts
Die Richtigkeit des Artikels war nicht strittig. Auch die Methoden der Informationsbeschaffung wurden nicht in Streit gezogen. Die Identität des Betroffenen war zum Veröffentlichungszeitpunkt zudem schon aufgrund anderer Berichte bekannt.

- Form und Folgewirkungen der Veröffentlichung,
Der Betroffene hatte schwere Auswirkungen des Berichts auf sein Privat- und Berufsleben behauptet. Das OLG Wien hatte allgemein Auswirkungen auf sein privates und berufliches Leben anerkannt. Im Verfahren vor dem EGMR wurde das nicht näher thematisiert, der EGMR nimmt hier einfach an, dass der Artikel einen signifikanten Effekt auf das Privatleben und die berufliche Position des Betroffenen gehabt haben muss.

- Schwere der Sanktionen
Die dem Betroffenen zugesprochene Entschädigung von 3.000 € ist, so der EGMR, "weder symbolisch noch vernachlässigbar."

- Ergebnis
Auch beim Ergebnis verliert der EGMR nur wenige Worte und formuliert fast wortgleich wie im "Standard"-Urteil:
49. In sum, the Court finds that the reasons given by the domestic courts were “relevant” but not “sufficient”. The Court therefore considers that the domestic courts have exceeded the narrow margin of appreciation afforded to them regarding restrictions on debates of public interest. It follows that the interference with the applicant company’s right to freedom of expression was not “necessary in a democratic society”.
50. Consequently, there has been a violation of Article 10 of the Convention.
PS [Update 15.11.2016]: siehe zu diesem Urteil nun auch den Beitrag von Holger Hembach auf Telemedicus.