Friday, May 31, 2013

Reform des Telekom-Rechtsrahmens: Abschaffung der Roamingentgelte, dafür Einführung des Regulatory Forum Shopping?

Kommissions-Vizepräsidentin Neelie Kroes will den europäischen Telekom-Rechtsrahmen wieder reformieren. Ihr Zeitplan ist ambitioniert, zumal es bislang noch keine Entwürfe der Kommission gibt und sich die Beschlussfassung durch Parlament und Rat trotzdem bis Ostern 2014 (= vor der Europawahl) ausgehen soll. Die Vorschläge der Kommission sind für Juli oder August angekündigt, die Präsentation im Rat ist für Oktober vorgesehen. Das "Verkaufsargument" von Kroes vor allem für das Parlament ist dabei die von ihr gewünschte vollständige Abschaffung der Roamingentgelte - würde das noch vor der EU-Wahl beschlossen, wäre es jedenfalls eine populäre Maßnahme, mit der - wie schon bei der Roaming-Verordnung - im Wahlkampf gute Stimmung für Europa gemacht werden könnte.

Einen Vorgeschmack auf die PR-Offensive gibt die Rede von Kroes vom 30.05.2013 vor dem Binnenmarkt- und Verbraucherschutzausschuss des Parlaments, in dem sie neben dem Ende der Roaming-Entgelte auch eine Garantie für Netzneutralität ankündigt (was auch immer sie derzeit darunter verstehen mag, zumal sie bisher eine Verpflichtung zur Netzneutralität dezidiert abgelehnt hat, zB hier).

Schwerpunkt der Änderungen dürfte aber eine allgemeine Rücknahme der Regulierung sein, wobei als Hebel vor allem die Sitzstaatskontrolle dienen soll: Telekomunternehmen sollen nur mehr einer nationalen Regulierungsbehörde unterliegen, auch wenn sie europaweit tätig sind. Das eröffnet natürlich ein "regulatory forum shopping", also die Suche nach dem Mitgliedstaat mit dem niedrigst möglichen Regulierungsniveau, in dem dann der formale Hauptsitz des Unternehmens sein wird. Wie erfolgreich solche Konzepte sind, kann man derzeit schon im Bereich des Datenschutzes sehen, wo sich etwa facebook wohl nicht ganz zufällig Irland als EU-Niederlassungsort ausgesucht hat.*)

Etwas positiver gewendet kann man natürlich - wie derzeit die deutsche Bundesnetzagentur in ihren Auseinandersetzungen mit der Kommission zu dem von der BNetzA abgelehnten BU-LRIC-Kostenmodell - auch von einem "Wettbewerb der Regulierungssysteme" sprechen (wenn ich es richtig sehe, dürfte diese Begriffsverwendung auf Justus Haucap zurückgehen, etwa in diesem gemeinsam mit Michael Coenen verfassten Papier; siehe auch die Stellungnahme des "Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Regulierungsfragen" der Bundesnetzagentur zur "Fortentwicklung des Regulierungsverbunds").

Mit dem nun angekündigten Reformpaket soll schließlich auch die Frequenzverwaltung europäisiert werden. Die Kommission versucht ja seit langem, mehr Gewicht in der Frequenzpolitik zu gewinnen, und so ist es nur folgerichtig, wenn nun auch eine Vereinheitlichung der Frequenzzuweisung angestrebt wird. Gewissermaßen im Windschatten populärer Maßnahmen wie der Abschaffung der Roamingentgelte könnte der Widerstand der Mitgliedstaaten in diesem Bereich wohl leichter gebrochen werden.

Vorerst aber gibt es erst einmal eine Interview- und Rede-Offensive der Kommissarin, und es ist noch keineswegs ausgemacht, dass sich eine substantielle Reform des Rechtsrahmens tatsächlich noch vor der Europawahl ausgehen wird.

Update 12.09.2013: nun liegt der Kommissionsvorschlag auf dem Tisch - siehe im Blog hier!
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*) Ein eher skurriles Beispiel für regulatory forum shopping und die Folgen ist derzeit in Deutschland zu beobachten: dort klagen zwei Landesmedienanstalten die Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein, weil diese der ProSiebenSat.1 TV Deutschland GmbH eine neue Lizenz erteilt hat (und die anderen Medienanstalten offenbar der Ansicht sind, dass sich das Rundfunkunternehmen einfach eine weniger strenge Aufsichtsbehörde ausgesucht hat; siehe diesen Bericht auf heise.de vor der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Schleswig, die Pressemitteilung der Medienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein nach der Verhandlung und die satirische Auseinandersetzung damit auf ulmen.tv: Der große Fernsehblog-Test: Wie werd ich Medienwächter?)

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