Tuesday, February 22, 2011

Vermischtes: Vorratsdaten, Cold Calling, "Kompetenzzentrum" Internetgesellschaft

Aktuelle Zwischenstands-Meldungen, für mehr reicht weder meine Zeit noch mein aktueller Informationsstand:

1. Vorratsdaten
Die Umsetzung der RL 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten in Österreich kommt nun offenbar doch ernsthaft in Gang: im Ministerrat wurde heute die entsprechende Regierungsvorlage für eine Novellierung des Telekommunikationsgesetzes 2003 beschlossen, in der die Verpflichtungen der Netzbetreiber für die Speicherung festgelegt werden (Ministerratskommuniqué). Zusätzlich wurden auch die Regierungsvorlagen für die korrespondierenden Novellen zur Strafprozessordnung und zum Sicherheitspolizeigesetz beschlossen, mit denen der Zugriff von Justiz und Polizei auf die Daten geregelt wird. Soweit bekannt ist, wird die Speicherdauer 6 Monate betragen, der Zugriff darf zur Aufklärung schwerer Straftaten mit einer Strafdrohung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe und grundsätzlich nur mit richterlicher Zustimmung erfolgen; beides mit Ausnahmen.

Der - soweit das aktuell zu überblicken ist - solideste aktuelle Medienbericht dazu ist hier auf help.orf.at zu finden (mit näheren Informationen zum Inhalt der beschlossenen Regelungen); auf andere, oft unscharfe Medienberichte und die oft eher skurrilen Presseaussendungen  gehe ich lieber nicht näher ein ("Damit wird auch einem EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich rechtzeitig vorgebeugt" heißt es - mehr als ein halbes Jahr nach der Verurteilung im Vertragsverletzungsverfahren - origineller Weise zB in dieser Presseaussendung; auch der Beschluss einer Regierungsvorlage hindert übrigens ein Vertragsverletzungsverfahren natürlich nicht).

Die im Ministerrat beschlossenen Texte sind noch nicht offiziell online verfügbar; sie werden aber in den nächsten Tagen hier auf der Website des Parlaments zu finden sein (update 23.2.2011: die Entwüre samt Erläuterungen sind nun abrufbar: TKG-Novelle, StPO- und SPG-Novelle). 

Zu den immer wieder erwähnten Hoffnungen auf erstens eine Reform der Richtlinie "in Brüssel" und zweitens eine "Anfechtung" der Richtlinie durch ein irisches Gericht ist nur knapp festzuhalten, dass die Kommission noch nicht einmal einen Entwurf für eine Änderung vorgelegt hat (sodass eine Änderung zumindest innerhalb der nächsten etwa zwei, wahrscheinlich eher drei Jahre jedenfalls so gut wie ausgeschlossen ist) und dass auch die schon lange angekündigte Vorlage des irischen High Court bis jetzt noch nicht erfolgt ist. Vor dem EuGH ist derzeit ein Verfahren anhängig, in der eine Auslegung der Vorratsdaten-RL gefragt ist: C-461/10 Bonnier Audio AB ua.

2. "Kompetenzzentrum" Internetgesellschaft
Tatsächlich gibt es nun mehr als ein Jahr nach der Gründung dieses sogenannten Kompetenzzentrums (mehr dazu hier) erstmals auch einen Ministerratsbeschluss über einen Bericht dieser Einrichtung. Auch dieser Bericht ist jedenfalls bis jetzt nicht online zu finden. Zu finden ist nur eine Presseaussendung der sogenannten "Internetoffensive Österreich" (ich verzichte hier auf die penetrante Großschreibung dieser Bezeichnung), die sich darüber freut, dass erstmals "von der Internetoffensive Östereich initiierte Maßnahmen in einem Ministerratsvortrag enthalten [sind], die eine gemeinsame Umsetzung zwischen Politik und Wirtschaft garantieren." Die Presseaussendung zählt dann auf:
"Konkret sind heute im Ministerrat folgende IKT-Projekte beschlossen worden:
* Best Practise Plattform: iktprojekte.at
* Handysignatur für jeden Bürger
* Tarifsituation im Index überprüfen
* Klimaschutz jetzt: Green ICT
* Öffentliche Verwaltung - öffentliche Daten
* Venture Capital für High-Tech-Unternehmen
* Elektronische Rechnungen an den Bund
* Unternehmensserviceportal - Phase 1
* Breitbandförderung in entlegenen Gebieten
* KIG Informationsstrategie
* Zentrale Digitale Bildungsservices
* Indexpflege
* Personenstandregister
* Förderung von innovativen Dienstleistungsprojekten mit Schwerpunkt auf dem Bereich IKT"
Die "Best Practise Plattform" ist offenbar in einer Beta-Version freigeschaltet, verantwortet wird sie laut Impressum von der Rundfunk und Telekom-Regulierungs GmbH (deren Unternehmensgegenstand übrigens falsch mit "Erfüllung der Aufgaben nach § 9 KOG" angegeben wird, wahrscheinlich hat man nicht mitbekommen, dass das KOG im letzten Jahr gravierend geändert wurde; nun sollte wohl auf § 20 KOG Bezug genommen werden, was allerdings auch nicht der gesamte Unternehmensgegenstand der RTR ist). Wieweit die Tätigkeit der RTR-GmbH als Website-Redaktionsteam zur Präsentation unter anderem finnischer Tourismusprojekte unmittelbar aus dem Kompetenzzentrumsauftrag gemäß § 20 KOG abzuleiten ist, könnte vielleicht auch noch näher untersucht werden.

Ich habe beim Bundeskanzleramt um Übermittlung des gesamten Berichts des sogenannten "Kompetenzzentrums Internetgesellschaft" ersucht, da ich mir unter anderen von der Internetoffensive Österreich verkündeten Projekten wie "Indexpflege" noch wenig vorstellen kann. Ich bin einmal gespannt, wann ich den Bericht bekomme (aber da der private "Förderverein Internetoffensive Österreich" den Bericht offenbar schon hat, sollte es wohl kein Problem sein, diesen zu veröffentlichen - update 28.02.2011: offenbar doch ein Problem: hier ist die Antwort des BKA, die sich im Wesentlichen in einem Verweis auf die RTR erschöpft).
Update 23.02.2011: Tatsächlich gibt es seit 30.12.2010 einen "Förderverein Internetoffensive Österreich" (ZVR-Zahl 741900401); im Vereinsnamen wurde offenbar auf die Großschreibung vergessen, obwohl der Vereinssitz in den Räumen der Lobbying-Agentur ist, die auch bisher die "Internetoffensive" betreut hat.

3. KSchG-Novelle zum "Cold Calling"
Dass sich der geplante Inkrafttretenstermin 1. März 2011 für die beiden Gesetzesnovellen (TKG und KSchG) zur Verbesserung des Schutzes vor unerbetenen Telefonanrufen nicht mehr ausgehen würde, war schon länger abzusehen (siehe im Blog dazu zuletzt hier), nun dürfte es sich auch mit April nicht mehr ausgehen: in der heutigen Sitzung des Konsumentenschutzausschusses des Nationalrats wurde nämlich keine Einigung über die Novelle zum KSchG erzielt (Presseaussendung des Parlaments). Was genau die Einigung verhindert hat, geht aus der Presseaussendung nicht hervor, angeblich gehe es darum, "noch einige Punkte zu präzisieren" (gut wär's, wenn es denn stimmen sollte). Nächster Anlauf im Konsumentenschutzausschuss soll am 17.03.2011 sein; es ist wohl davon auszugehen, dass auch die parallele Ergänzung des TKG 2003, die bereits im Ausschuss beschlossen wurde, bis dahin nicht dem Nationalratsplenum vorgelegt wird.

Vielleicht könnte diese Änderung dann auch gleich mit der Beschlussfassung über die TKG-Novelle zur Vorratsdatenspeicherung zusammengelegt werden. In jedem Fall sollte es nicht die letzte TKG-Novelle in nächster Zeit sein: die Umsetzung des EU-Reformpakets für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste wäre eigentlich bis 25.05.2011 erforderlich. Allerdings: den Menschen, der auf eine fristgerechte Umsetzung dieses Pakets in Österreich wetten würde, habe ich bislang nicht kennengelernt.

Die Justizministerin kündigte im Konsumentenschutz-Ausschuss übrigens die Schaffung von Straftatbeständen bezüglich "Cyber Grooming" und "Happy Slapping" an (nicht aber für "Cyber Mobbing").

Monday, February 21, 2011

"Schöne Geschichten" zu ADONIS

So schön wie ADONIS sollte das neue österreichische digitale Behörden-Funknetz werden (oder zumindest sollte es so heißen). Dass das irgendwie nicht so recht geklappt hat, ist in den letzten paar Tagen wieder Thema mehrerer Medienberichte gewesen, insbesondere einer aktuellen profil-Geschichte, in der Ex-Innenminister und nun EU-Parlamentarier Ernst Strasser, "Lobbyist für eh alles" (c profil) Alfons Mensdorff-Pouilly, ein paar honorige Firmen, Briefkästen und nicht zuletzt das schöne Land Panama vorkommen (ich will das hier gar nicht näher nacherzählen, aber zur Ausgangs-Geschichte betreffend das Behörden-Funknetz verweise ich zB auch auf einen früheren profil-Artikel: Mensdorff-Pouillys Jagdgesellschaft: Das Behördenfunknetz des Innenministeriums; in einem weiteren profil-Artikel hieß es: "Im Februar 2003 kippte Innenminister Strasser einen Millionenvertrag, der für den Aufbau des behördeninternen Funknetzes Adonis vergeben worden war. [...] Zum Zug kam schließlich ein Konsortium, hinter dem der Lobbyist Alfred Mensdorff-Pouilly stand – und eine Reihe ehemaliger Kabinettsmitarbeiter von Strasser, die an Mensdorffs Jagdgesellschaften teilgenommen haben. Inklusive Minister.")

Heute berichtete die APA, und auf sie zurückgreifend etwa Presse und  Standard, auch über die gerichtliche Streitigkeit zwischen "dem Innenministerium" und jenem Unternehmen, das ursprünglich die Ausschreibung gewonnen hatte. Bemerkenswert ist, dass sich die Medien offenbar nicht die Arbeit gemacht haben, näher zu recherchieren, wie viel die vorzeitige Vertragsauflösung mit mastertalk die Republik tatsächlich gekostet hat. In der Presse heißt es etwa: "Der Behördenfunk hat eine holprige Vergangenheit: Ursprünglich sollte Master Talk (Raiffeisen, Siemens, Wr.Stadtwerke, Verbund) zum Zug kommen, Strasser kündigte jedoch den Vertrag. Das soll die Republik in einer außergerichtlichen Einigung 18 Mio. Euro gekostet haben." Der Standard schreibt: "Der Vergleich zwischen Master Talk und dem Innenministerium soll den Steuerzahler 18 Mio. Euro gekostet haben, bestätigt wurde die Zahl aber nie." 
Tatsächlich wurden die 18 Mio Euro nie bestätigt - weil es nämlich wesentlich mehr war, wozu sich das Innenministerium in einem Vergleich durchringen musste: fast 30 Mio Euro (genau: 29,9 Mio Euro) wurden mastertalk am 22. September 2006 überwiesen. Das hat jedenfalls Innenministerin Fekter in dieser Anfragebeantwortung (auf diese Anfrage von Abg. Parnigoni hin) eingeräumt; Anfrage und Anfragebeantwortung sind auch aus anderen Gründen lesenswert, so etwa wegen der interessanten beruflichen Entwicklungen ehemaliger Kabinettsmitarbeiter (siehe dazu zb auch einen älteren Bericht aus der Presse). Und noch ein Detail: das Projekt Adonis musste, wenig überraschend, durch "externe und unabhängige Expertise" begleitet werden, durch Konsulenten und eine Rechtsanwaltskanzlei (zu den Kosten, auch im Folgeprojekt, siehe mehr in der Anfragebeantwortung). Diese Kanzlei vertrat die Republik auch in einem Verfahren gegen mastertalk, das - bevor der Vergleich mit mastertalk geschlossen wurde - bis zum Obersten Gerichtshof geführt wurde.
In diesem Verfahren begehrte die Republik Österreich die Feststellung, "dass hinsichtlich allfälliger Streitigkeiten, die zwischen den Streitteilen im oder aus dem Zusammenhang mit dem durch das Zuschlagsschreiben vom 5. 7. 2002 zustandegekommenen Vertrag über die Bereitstellung eines digitalen Bündelfunkdienstes unter der Bezeichnung 'ADONIS' entstehen, ein dem § 577 ZPO entsprechender Schiedsvertrag nicht vorhanden ist". Das war insofern bemerkenswert, als die Schiedsklausel in den von den Beratern des Innenministeriums erstellten Ausschreibungsunterlagen enthalten war, und der OGH gab dementsprechend auch eine klare Antwort (Urteil vom 20.10.2005, 2 Ob 235/05f):
"Der Versuch der Klägerin [Republik Österreich, Bundesministerium für Inneres], sich der von ihr (ihrem Berater) selbst in das Vertragswerk eingebrachten und den Bietern vorgegebenen Schiedsklausel wieder zu entziehen, muss somit erfolglos bleiben."
Dabei hatten sich beide Streitteile - Republik genauso wie mastertalk - dieses "Vorverfahren", in dem es nur darum ging, ob die Streitigkeit über die Vertragsauflösung vor einem Schiedsgericht oder vor den ordentlichen Gerichten auszutragen war, einiges kosten lassen und sich mit privaten Rechtsgutachten aufmunitioniert. Den Obersten Gerichtshof hat dieses gutachterliche Wettrüsten wenig beeindruckt, und er hat mit den folgenden legendären Worten gewissermaßen "sechs Professoren auf einen Streich" erledigt:
"Die Parteien haben in dieser Rechtssache gleich sechs verschiedene, einander teilweise widersprechende private Rechtsgutachten (der Professoren Fasching, Krejci, Öhlinger, Vonkilch, Welser und Wilhelm; vgl zum konkreten Fall auch Wilhelm, Der schmale Grat zum Schiedsgericht, ecolex 2005, 89) vorgelegt. Eine solche Vorlage mag zulässig sein (vgl RIS-Justiz RS0041743, RS0043585), der Oberste Gerichtshof ist aber nicht verpflichtet, auf derartige Auftragswerke im Einzelnen einzugehen. Es gilt der Grundsatz: iura novit curia."
PS: weitere Entscheidungen in Sachen Adonis: VfGH aufschiebende Wirkung, 26.6.2002, B 973/02, VfGH 11.12.2002, B 985/02, Bundesvergabeamt 5.7.2002, N-16/02-28

Update 24.08.2011: News berichtet, dass "die Vergabe des Blaulichtfunks in der Ära des damaligen Innenministers und späteren EU-Abgeordneten Ernst Strasser neu durchleuchtet wird."
Update 06.10.2011 (nur der Vollständigkeit halber): der Rechnungshofbericht zum Behördenfunknetz ADONIS (Reihe Bund 2004/5) 

Update 24.03.2015: "In der Causa Blaulichtfunk/Tetron hat die Staatsanwaltschaft Wien Anklage gegen den früheren Telekom Austria-Vorstand Rudolf Fischer und gegen den Lobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly erhoben", heißt es heute in Medienberichten. Die Anklage ist nicht rechtskräftig.

Thursday, February 17, 2011

EuGH: Weitergabe von Teilnehmerdaten nach der Universaldienst-RL

Der EuGH hat heute in der C-16/10 The Number and Conduit Enterprises entschieden; zugleich hat Generalanwältin Trstenjak in der Rechtssache C-543/09 Deutsche Telekom ihre Schlussanträge vorgelegt. Beide Verfahren betreffen die Auslegung der Universaldienst-RL (das Verfahren Deutsche Telekom zusätzlich auch die DatenschutzRL für elektronische Kommunikation), jeweils im Zusammenhang mit der Weitergabe von Teilnehmerdaten an andere Unternehmen zum Zweck der Herausgabe von Teilnehmerverzeichnissen bzw. der Erbringung eines Auskunftsdienstes.

In der Rechtssache C-16/10 The Number and Conduit Enterprises (vorgelegt vom Court of Appeal nach einem unterinstanzlichen Urteil des Competition Appeals Tribunal) ging es um die Vereinbarkeit einer "universal service condition" der BT - nach österreichischem Recht entspräche dies einer Art Konzessions-Auflage -, nach der die BT Daten aus ihrer Teilnehmerdatenbank, die Teilnehmer aller Betreiber enthält, zu bestimmten Bedingungen an andere Betreiber verkaufen muss. Der EuGH kommt - in Beantwortung der gestellten Frage - zu einem eher banal wirkenden Ergebnis: die Mitgliedstaaten dürfen den Universaldienstbetreibern "nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie ausschließlich solche besonderen Verpflichtungen auferlegen, die in dieser Richtlinie vorgesehen sind und mit der Erbringung des Universaldienstes oder Bestandteilen davon an die Endnutzer durch die benannten Unternehmen selbst im Zusammenhang stehen." Keine besondere Überraschung hier. Zu Art 25 der Universaldienst-RL, so der EuGH, "genügt die Feststellung, dass sich diese Bestimmung darauf beschränkt, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, sicherzustellen, dass 'alle Unternehmen, die Teilnehmern Telefonnummern zuweisen', allen zumutbaren Anträgen entsprechen, die Daten ihrer eigenen Teilnehmer zum Zweck der Bereitstellung von Auskunftsdiensten und Teilnehmerverzeichnissen zur Verfügung zu stellen. Diese Bestimmung, die eine für alle Anbieter geltende allgemeine Verpflichtung betrifft, hat folglich keine Auswirkung auf den Umfang der besonderen Verpflichtungen, die ein Mitgliedstaat einem oder mehreren bestimmten Unternehmen, die er für die Zwecke der Erbringung des Universaldienstes nach Art. 8 Abs. 1 der Universaldienstrichtlinie benannt hat, auferlegen darf." 

Im Verfahren C-543/09 Deutsche Telekom (Vorabentscheidungsersuchen des Deutschen Bundesverwaltungsgerichts) geht es vorrangig zunächst einmal genau um Art 25 der Universaldienst-RL und um die Frage, ob nach dieser Bestimmung die Netzbetreibernur die Daten ihrer eigenen Teilnehmer an andere Unternehmen weitergeben müssen oder ob sie auch verpflichtet sind, Daten von Teilnehmern anderer Netze, die sie (um ihren eigenen Auskunftsdienst zu betreiben) in ihren Datenbanken haben, weiterzugeben. Diesbezüglich ist das Ergebnis für die Generalwältin klar: "Eine Auslegung von Art. 25 Abs. 2 der Universaldienstrichtlinie nach Wortlaut, Systematik und Zielsetzung führt mich zu dem Ergebnis, dass sich die darin umschriebene Datenweitergabepflicht der Telefonunternehmen nur auf die relevanten Informationen über die Teilnehmer erstreckt, denen diese Telefonunternehmen eine Telefonnummer zugewiesen haben." (So hat das auch der österreichische Verwaltungsgerichtshof - Erkenntnisse vom 17.12.2004, 2004/03/0059 und 2004/03/0060 [disclosure: ich war als Richter daran beteiligt] - gesehen, mehr dazu hier).

Die Fragen des BVerwG sind damit aber nicht erschöpft, und die Generalanwältin hält zunächst einmal fest, dass ihrer Ansicht nach Art 25 Abs. 2 der Universaldienst-RL keine Vollharmonisierung der Datenweitergabepflicht enthält. Die Mitgliedstaaten dürften demnach "im Prinzip auch über die in Art. 25 Abs. 2 enthaltenen Vorgaben hinausgehen" können. Dazu ist dann aber zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten mit einer derartigen Regelung in die den nationalen Regulierungsbehörden einzuräumenden Befugnisse eingegriffen haben, was dann der Fall wäre, wenn die Maßnahme speziell auf Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht gerichtet wären. "Wenn die Bundesrepublik mit der Feststellung der Fremddatenweitergabepflicht nach § 47 TKG hingegen lediglich in objektiver und allgemeiner Weise die Rahmenbedingungen zur weiteren Vereinfachung der Bereitstellung von Kundendaten an die Anbieter von Teilnehmerverzeichnissen und Telefonauskunftsdiensten erlassen hat, liegt ein mittelbarer und demnach zulässiger Eingriff in den Kompetenzbereich der nationalen Regulierungsbehörde vor."

Praktisch wäre eine derartige Weitergabeverpflichtung für Daten aber noch eingeschränkt durch Art 12 DatenschutzRL für elektronische Kommunikation, da sichergestellt werden müsste, "dass die Teilnehmer sowohl über diese Pflicht zur Weitergabe der Daten an die Anbieter von der Öffentlichkeit zugänglichen Teilnehmerverzeichnissen als auch über den Kreis der Anbieter solcher Verzeichnisse sowie über Inhalt, Zweck und Suchfunktionen der Verzeichnisse aufgeklärt worden sind und einer Veröffentlichung ihrer Daten in den betreffenden Verzeichnissen zugestimmt haben. Wenn es mehrere gleichwertige Anbieter solcher der Öffentlichkeit zugänglichen Teilnehmerverzeichnisse auf einem Markt gibt und diese Verzeichnisse zweckidentisch sind und vergleichbare Suchfunktionen aufweisen, steht es den Teilnehmern nicht frei, ihre Zustimmung für die Veröffentlichung willkürlich auf einen dieser Anbieter einzuschränken."

PS: der EuGH hat heute auch im Vorabentscheidungsverfahren C-52/09 Konkurrensverket / TeliaSonera Sverige AB zu Fragen des margin squeeze entschieden (zu den Schlussanträgen vom 02.09.2010 siehe hier); im Blog werde ich das - allenfalls - erst zu einem späteren Zeitpunkt besprechen. Inzwischen verweise ich auf den Beitrag im Kartellblog.

EuG: "Free to Air White List" von UK und Belgien darf gesamte Fußball-WM und -EM Endrunde enthalten

Das Gericht der Europäischen Union hat heute die Klagen von FIFA und UEFA gegen die Kommissionsentscheidungen, mit denen die belgische und die britische Liste der Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung (die damit auch im Free-TV zugänglich sein müssen) akzeptiert wurden, abgewiesen (T-385/07 FIFA / Kommission, T-55/08 UEFA / Kommission und T-68/08 FIFA / Kommission); die angefochtenen Entscheidungen waren für Belgien der Beschluss 2007/479/EG der Kommission vom 25. Juni 2007 und für das UK der Beschluss 2007/730/EG vom 16. Oktober 2007. FIFA und UEFA wollten die Aufnahme der WM- bzw. EM-Spiele nur hinsichtlich der "Topspiele" (Finale, Halbfinale und Spiele mit Beteiligung der jeweiligen Nationalmannschaft) akzeptieren; das Gericht sah aber WM und EM als "Gesamtereignisse", die zulässigerweise in die Liste aufgenommen werden können. Zu den Entscheidungen siehe auch die Presseaussendung des Gerichts; zur rechtlichen Vorgeschichte ist auf die der Rechtssache T-33/01, Infront zu verweisen.

In Österreich sind übrigens nur Eröffnungsspiel, die Halbfinalspiele und das Endspiel auf der Liste, sowie Spiele, an denen die österreichische Nationalmannschaft teilnimmt; insbesondere wegen letzterer ist es vielleicht ganz gut, wenn das EuG nun ausdrücklich entschieden hat, dass nicht nur Topspiele auf die Liste dürfen. Eine Gesamtübersicht über die Listen in den Mitgliedstaaten ist hier.

Wednesday, February 16, 2011

Sag's (nicht) durch die Blume: Oster-Lilien und Meinungsfreiheit

Das ist kein verspäteter Beitrag zum Valentinstag, zumal die Oster-Lilie ohnehin keine geeignete Valentinstags-Blume wäre, ist sie doch nicht nur Symbol der Reinheit, sondern auch des Todes. In Irland hat die Oster-Lilie allerdings noch eine ganz andere Symbolkraft als Erinnerung an den Osteraufstand 1916 und damit als politisches Symbol der Irischen Republikaner.

Angesichts der "Troubles" in (Nord-)Irland ist es kaum verwunderlich, dass das Tragen politischer Symbole in den Gefängnissen eingeschränkt wurde: die Oster-Lilien der Republikaner waren davon genauso betroffen wie die orangen Symbole der Unionisten. Ein Gefangener, der in einem gesonderten Gefängnistrakt für republikanische Gefangene eine langjährige Haftstrafe verbüßt, steckte am Ostersonntag 2008 dennoch eine Oster-Lilie an und wurde - nachdem er sich trotz Aufforderung weigerte, das Symbol abzunehmen - mit drei Tagen Einzelhaft bestraft. Er wandte sich an den EGMR, der die Beschwerde jedoch mit Entscheidung vom 25. Jänner 2011, Donaldson, Appl. no. 56975/09, als offensichtlich unbegründet zurückwies (Mehrheitsentscheidung). Aus der Begründung (Hervorhebung hinzugefügt):
"28. The Court recognises that in the present case the significance of the Easter lily will be relevant to any assessment of the necessity of the interference. It notes that in Northern Ireland many emblems are not simply an expression of cultural or political identity but are also inextricably linked to the conflict and can be viewed as threatening and/or discriminatory by those of a different cultural, political or religious background. Consequently, the public display of emblems can be inherently divisive and has frequently exacerbated existing tensions in Northern Ireland. Therefore, as cultural and political emblems may have many levels of meaning which can only fully be understood by persons with a full understanding of their historical background, the Court accepts that Contracting States must enjoy a wide margin of appreciation in assessing which emblems could potentially inflame existing tensions if displayed publicly.
29.  The Court notes that the Easter lily was considered both by the Prison Service and the Equality Commission as a symbol which was inherently linked to the community conflict as it was worn in memory of the republican dead. It was therefore one of a number of emblems which was deemed inappropriate in the workplace and in the communal areas of Northern Ireland’s prisons. The Court recognises that the level of offence caused by a particular emblem cannot alone set the limits of freedom of expression (Vajnai v Hungary, cited above, § 57). However, it also recognises that in times of conflict, prisons are characterised by an acute risk of disorder and emblems which are more likely to be considered offensive are also more likely to spark violence and disorder if worn publicly. Consequently, the present case can readily be distinguished from that of Vajnai v Hungary, in which there was no evidence of a real or even remote danger that disorder would be triggered by the public display of the red star (Vajnai v Hungary, cited above, § 55)."
Der EGMR berücksichtigt auch, dass der Eingriff relativ geringfügig war, da das Symbol nur außerhalb der Zelle nicht getragen werden durfte. Auch die Bedeutung eines von Abzeichen der Konfliktparteien freien Arbeitsumfelds für das Gefängnispersonal wird vom EGMR hervorgehoben, zumal eine signifikante Zahl von Gefängnismitarbeitern von Angehörigen der paramilitärischen Gruppen belästigt, bedroht, körperlich angegriffen und umgebracht worden waren.

Zum Fall Vajnai, der vom EGMR hier zitiert wird, siehe schon hier im Blog. Vor kurzem hat der EGMR in zwei Folgefällen dazu (Vajnai II, Appl. no 44438/08, und Horváth, Appl. no. 44073/08) die Beschwerden als offensichtlich unbegründet - wegen Nichtausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs - zurückgewiesen.

PS: nicht alle Blumen/Pflanzen sind in den nordirischen Gefängnissen verboten: die roten Mohnblumen und der irische Klee dürfen auch von Gefangenen getragen werden. Nicht einmal in Gefängnissen gibt es also mehr ein "bloody law agin' / The wearing of the green."

Tuesday, February 15, 2011

EGMR: Ein Buch, das kaum wer liest, dürfte die öffentliche Ordnung kaum gefährden

Der EGMR hat heute im Fall Çamyar and Berktaş gegen Türkei, Appl. no. 41959/02, einstimmig eine Verletzung des Art 10 EMRK durch die Türkei festgestellt. 

Elif Çamyar ist Verlegerin, Nevin Berktaş Schriftstellerin (und politische Aktivistin, die - wenn man dieser Website glauben kann - schon 21 Jahre ihres Lebens in Gefängnissen verbracht hat). Beide wurden strafrechtlich verfolgt und schließlich nach einer (mittlerweile aufgehobenen) Bestimmung wegen Unterstützung einer illegalen bewaffneten Organisation zu einer Geld- (Çamyar) bzw einer Haftstrafe (Berktaş) verurteilt, weil sie ein Buch mit dem Titel "Hücreler" (Zellen) verlegt bzw herausgegeben und (teilweise) verfasst haben. Das Buch setzte sich sehr kritisch mit den Zuständen in Gefängnissen der Türkei auseinander, überwiegend auf Grund eigener Erfahrungen der Autorin (auf einer Unterstützungswebsite für Berktaş steht über dieses Buch: "Berktaş berichtet in dem Buch über ihre Erfahrungen als Gefangene nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 in dem Gefängnis von Adana. Sie beschreibt das grausame Regime von Isolation, Folter und Umerziehung, das die Militärjunta nach dem Putsch in den Gefängnissen gegen politische Gefangene einsetzte und den kollektiven und individuellen Widerstand gegen dieses System.") Sowohl Nevin Berktaşals auch die anderen Autoren hatten Gefängnisstrafen wegen ihrer Beteiligung an einer illegalen bewaffneten Organisation (TIKB Bolşevik) verbüßt.

Vor dem EGMR stand außer Streit, dass ein Eingriff in die Meinungsäußerunsgfreiheit vorlag und dass sich dieser Eingriff ein Gesetz stützte und ein legitimes Ziel - Verhinderung von Straftaten - verfolgte. Wieder einmal blieb "nur" zu prüfen, ob der Eingriff auch in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war. Der EGMR verweist auf die besondere Rolle der Presse, die auch in diesem Fall einer Bestrafung wegen einer Buchveröffentlichung zu berücksichtigen ist. Er hält fest, dass es um eine Zusammenstellung von Artikeln geht, die von tatsächlichen Begebenheiten inspiriert wurden und die eine sehr grundsätzliche Kritik des Gefängiswesens enthalten. Dennoch müsse auch berücksichtigt werden, dass bestimmte Ideen, die im Buch verbreitet würden, eine Glorifizierung des Kampfs von "Revolutionären" enthalten. Insgesamt aber konnte der EGMR keinen Aufruf zu Gewalt erkennen:
"40.  However, even though some of the passages from the book seem hostile in tone, the Court considers them to be an expression of deep distress in the face of tragic events that occurred in prisons, rather than a call to violence.
41.  Moreover, while the Government argued that the book incited hatred and hostility and praised terrorist crime, the domestic courts did not rely on the arguments that are now adduced by the Government to justify the interference in question. In other words, the national courts did not make reference to any specific passages or pages of the book which could be regarded as incitement to hatred or violence, but rather based the applicants' conviction on a review of the book as a whole."
Und dann bringt der EGMR noch ins Spiel, dass das Pamphlet wohl nicht allzu viele Menschen wirklich interessiert:
"42.  Finally, the Court takes into account the fact that the impugned articles in the book, written by private individuals, would necessarily reach a relatively narrow readership compared to views expressed by well known figures in the mass media. Accordingly, this limits the potential impact of the book on 'public order' to a substantial degree." (Hervorhebung hinzugefügt)

Erste Priorität: Verschieben! Das sogenannte "Kompetenzzentrum Internetgesellschaft" lässt weiter warten

Für heute war der Ministerratsbeschluss über den "1. Prioritätenkatalog" des sogenannten "Kompetenzzentrums Internetgesellschaft" (kurz: KoZIG) angekündigt (APA-Bericht hier). Doch wer glaubte, damit erstmals etwas über die Arbeit dieses angeblichen Kompetenzzentrums zu erfahren, wurde wieder enttäuscht. Denn der Ministerrat hat nicht nur den Beschluss über eine Regierungsvorlage zur Umsetzung der Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten zurückgestellt, auch das KoZIG schaffte offenbar den Sprung in die Sichtbarkeit nicht. Aber vielleicht lautet die erste Priorität in dieser Sache ohnehin: Verschieben!

Inzwischen kann man ja wieder einmal auf die Ergebnisse der sogenannten Internetoffensive zurückschauen, die von einer Lobbying-Agentur, die sich "auf strategische Lobbying-Leistungen im Top-Segment" konzentriert, koordiniert wurde (das ist jetzt natürlich eine andere Agentur als jene, die früher die ARGE Breitband koordiniert und für ihre Leistungen für ein österreichisches Telekom Unternehmen einen Award in der Kategorie "Langfristige PR-Strategie" bekommen hat). Der Managing Partner der Internetoffensive-Agentur gehört, wie übrigens auch der Geschäftsführer für den Fachbereich Telekommunikation und Post der RTR, in beratender Funktion auch dem Vorstand des KoZIG an.

Das zentrale Ergebnis dieser Internetoffensive war die sogenannte "Österreichische Internetdeklaration", die uns mitteilt, was Österreich so braucht, um "Österreich ins Topranking der IKT-Länder zu bringen, die private Breitbandnutzung massiv zu erhöhen, Internet als Chance für alle Menschen zu ermöglichen und Österreich zum erstklassigen Forschungsstandort für IKT zu entwickeln". Demnach braucht Österreich unter anderem (beliebig ausgewählt) "das Recht des Individuums auf Eigentum an seinen personenspezifischen Daten im Internet sowie deren besonderen Schutz", "die Beschleunigung der Gründungsdynamik durch Venture Capital", und natürlich "die Durchfürhung von zielgruppenspezifischen Informationskampagnen".

Kopiert man den Text der sogenannten Internetdeklaration übrigens in die wunderbare Erfindung des BlaBlaMeters, dann bekommt man das folgendes Ergebnis:

Sunday, February 13, 2011

Vorschau: mögliche Telekom- und Rundfunkurteile des EuGH 2011

Welche interessanten Entscheidungen können wir dieses Jahr vom EuGH bzw EuG erwarten? Damit habe ich mich in meiner jährlichen "top 3 cases"-Liste für www.contentandcarrier.eu (in englischer Sprache) befasst, auf die ich einerseits einfach verweisen möchte, die ich aber andererseits heir nochmal knapp zusammenfasse:

Am kommenden Donnerstag, 17.02.2011, wird sich der EuGH wieder zu Margin Squeeze-Fragen äußern; Anlass ist das schwedische Vorabentscheidungsersuchen C-52/09 TeliaSonera Sverige. Außerdem stehen am 17.02.2011 eine Entscheidung zur Verpflichtung von Universaldienstbetreibern, Zugang zu Teilnehmerdaten zu gewähren (C-16/10 The Number and Conduit Enterprises) sowie Schlussanträge in ähnlicher Sache (C-543/09 Deutsche Telekom) auf dem Programm. Außerdem wird das Gericht (EuG) über Klagen von FIFA und UEFA gegen die belgische und britische Liste von Ereignissen mit erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung entscheiden (T-385/07 FIFA / Kommission, T-68/08 FIFA / Kommission, T-55/08 UEFA / Kommission.

Am 03.03.2011 wird aller Voraussicht nach Belgien wegen unzureichender Umsetzung des Art. 31 Universaldienst-RL ("must carry") verurteilt werden (C-134/10 Kommission / Belgien). Am 10.03.2011 folgen Schlussanträge im Fall C-71/10 Ofcom (Zugang zu genauen Standortdaten von Mobilfunk-Basisstationen) sowie das Urteil im Fall C-85/10 Telefónica Móviles España (Frequenznutzungsgebühren) und am 17.03.2011 die Schlussanträge in den Fällen C-431/09 Airfield und Canal Digitaal und C-432/09 Airfield zur Satelliten- und KabelweiterverbreitungsRL.

Unter den aus meiner Sicht die interessantesten Fällen, in denen im Jahr 2011 mit einer Entscheidung gerechnet werden könnte, ist zunächst ein weiterer "Margin Squeeze"-Fall, nämlich T-336/07 Telefónica /Kommission und T-398/07 Spanien/Kommission (betreffend über die Kommissionsentscheidung  COMP/38.784, Wanadoo España), in dem es immerhin um ein Bußgeld von über 151 Mio Euro geht. Der Fall ist zwar noch nicht ganz so alt wie andere beim EuG noch anhängige Fälle, aber angesichts des EuGH-Urteils in der Sache C-280/08 P Deutsche Telekom sollte hier vielleicht doch mit einer Entscheidung innerhalb von vier Jahren - also noch 2011 - gerechnet werden können.

Für Fußball- und Fernsehinteressierte stehen wohl die verbundenen Rechtssachen C-403/08 Football Association Premier League u.a. und C-429/08 Murphy im Zentrum des Interesses. Nach den zumindest aus der Sicht der englischen Premier League spektakulären Schlussanträgen von Generalanwältin Kokott ist für Spannung gesorgt - die Entscheidung des EuGH wird zeigen, ob Dienstleistungsfreiheit und Wettbewerbsrecht tatsächlich die territorialen Exklusivrechte bei Fußballübertragungen - aber nicht nur dort - zu Fall bringen können.  

Internet-Filter: Für alle Internetnutzer spannend könnte die Entscheidung im Fall C-70/10 Scarlet Extended werden, in dem es um die Zulässigkeit eines richterlichen Auftrags an einen Internet Provider geht, den gesamten Verkehr zu filtern, um mögliche Urheberrechtsverstöße zu identifizieren. Auch wenn also der Ausgangspunkt der Sache - man möchte sagen: wieder einmal - im Urheberrecht liegt, so berühren die Vorlagefragen des Brüsseler Appellationsgerichtshofs doch nicht nur zwei UrheberrechtsRL (2001/29 und 2004/48), sondern auch Datenschutz- und vor allem Grundrechtsfragen: Das vorlegende Gericht spricht Art 8 und 10 EMRK ausdrücklich an, und ich wäre überrascht, würde der EuGH nicht die Gelegenheit nutzen, ein paar grundsätzliche Aussagen zu Art. 7, 8 und 11 der Grundrechtecharta zu treffen (auch wenn sie im maßgebenden Zeitpunkt des Vorlagefalls noch nicht in Kraft war). Die mündliche Verhandlung in dieser Sache hat bereits stattgefunden, aber für eine Entscheidung noch in diesem Jahr wird es wohl doch knapp werden, zumal die Schlussanträge des Generalanwalts voraussichtlich erst gegen Mitte April vorliegen werden (update 12.03.2011: am 14.04.2011 werden die Schlussanträge veröffentlicht).

Und sollte es heuer nichts mehr werden mit diesem Fall, vielleicht geht sich stattdessen eine Entscheidung in einem der anhängigen TV-Werbungsfälle aus, insbesondere zu C-390/09 R.T.I. - Reti Televisive Italiane s.p.a, der auch Auswirkungen auf ein - inzwischen ausgesetztes - Verfahren des österreichischen Bundeskommunikationssenats hat (update 12.03.2011: das Verfahren vor dem EuGH wurde aus dem Register gestrichen, da das Ausgangsverfahren gegenstandslos wurde).

Tuesday, February 08, 2011

Vermischte Lesehinweise (25): Schweizer Medienzukunft, Netzneutralität, Konsultationen, ...

1. "Zukunft der Medien in der Schweiz"
Das Schweizer Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) hat am vergangenen Freitag sechs (externe) Studien veröffentlicht (und zur Konsultation gestellt):
2. Netzneutralität
3. Interessante Konsultationen der EU-Kommission:
4. Diverses

Sunday, February 06, 2011

Presserat und Qualität: am Beispiel der Berichterstattung über den Presserat

Der Presserat "will vor allem eines: mehr Qualität". Das schreibt die NÖN aus Anlass der Eröffnungsveranstaltung des Presserats Ende Jänner. Im selben Artikel heißt es über den Presserat weiter:
"Außerdem auf der Agenda für 2011: die schon länger geplante Evaluierung aller heimischen Medien (soll in den nächsten Monaten stattfinden), eine Regelung für Neue Medien (also: das Internet) und eine EU-Richtlinie, die auch in Österreich noch auf ihre Umsetzung wartet."
Erstens: Von einer "Evaluierung aller heimischen Medien" durch den Presserat träumt wohl nicht einmal dieser selbst (und wenn, dann wohl alb). Eine Evaluierung soll es tatsächlich geben, allerdings nicht der Medien, sondern des Presserats (dazu der Vorsitzende des Trägervereins schon hier; bei der Eröffnungsveranstaltung hat er angemerkt, dass die Evaluierung wegen des späten Starts etwas verschoben wurde).
Zweitens: eine Regelung für "Neue Medien (also: das Internet)" wurde jedenfalls bei der Eröffnungsveranstaltung nicht angekündigt und ist angesichts der Trägerorganisationen auch nicht zu erwarten.
Drittens: Mit der "EU-Richtlinie, die auch in Österreich noch auf ihre Umsetzung wartet", dürfte die RL 2003/6/EG (Martkmissbrauchs-Richtlinie) - bzw. die RL 2003/125/EG (2. Marktmissbrauchs-Durchführungsrichtlinie) - gemeint sein. Inhaltlich geht es dabei - ganz grob gesagt - unter anderem um Offenlegungsregeln für Anlageempfehlungen und die Verhinderung von Missbrauch durch Verwertung von Insiderwissen. Die RL ist umgesetzt (was zB die Wiener Zeitung in ihrem Bericht über die Presseratseröffnung halbwegs korrekt erkannt hat); Anliegen des Presserats ist allerdings seine Berücksichtigung als Selbstkontrolleinrichtung, da nach der 2. Marktmissbrauchs-DurchführungsRL ist in bestimmten Fällen eine spezifische Regelung für Journalisten dann nicht erforderlich ist, wenn diese "einer gleichwertigen angemessenen Regelung - einschließlich einer gleichwertigen angemessenen Selbstkontrolle - in den Mitgliedstaaten unterliegen". Ob der Presserat eine derartige angemessene Selbstkontrolle bewerkstelligen könnte, will ich hier nicht kommentieren; es geht jedenfalls nicht um die Umsetzung einer Richtlinie, sondern darum, dass der Presserat sich erst einmal auf eine Ergänzung seines sogenannten "Ehrenkodex" einigen müsste. Denn in seiner Verfahrensordnung gibt es zwar einen eigenen Abschnitt mit "Sondervorschriften für Verfahren betreffend Publizitätsverletzungen bei Anlageempfehlungen durch Medienmitarbeiter (RL 2003/6/EG)", aber der bezieht sich auf Verstöße "gegen Art. [*] des Ehrenkodex". Solange der/die "Art [*]" nicht ausformuliert werden, braucht man über eine allfällige Eignung des Presserats als angemessene Selbstkontrolle jedenfalls noch nicht nachzudenken.

Wenn der Presserat also wirklich vor allem einmal mehr Qualität will: bei der Berichterstattung über den Presserat gäbe es noch Optimierungspotential.

PS: Zum Presserat siehe auch eine Replik des Geschäftsführers des Presserats auf einen Presse-Artikel; er schreibt darin: "Ein weiterer großer Vorteil für die Betroffenen ist es, dass das Verfahren beim Presserat – anders als bei Gericht – kostenlos ist." Das steht so freilich sonst nirgends, jedenfalls weder auf der Website des Presserats noch in der Verfahrensordnung - eher im Gegenteil: nach § 14 Abs 3 der Verfahrensordnung hat der Presserat "in seiner Entscheidung in analoger Anwendung des § 609 ZPO über die Verpflichtung zum Kostenersatz zwischen Beschwerdeführer und Beschwerdegegner zu entscheiden." Auch wenn vom Presserat also keine "Pauschalgebühr" erhoben wird, kostenlos ist das Verfahren für den Beschwerdeführer dennoch nicht unbedingt.

Funkstille? Wie sich profil die österreichische Telekomregulierung vorstellt

Das aktuelle profil berichtet über diverse angebliche "Ideenkonzepte" der PR-Agentur HocheggerCom -  früher (jetzt nicht mehr) für die Telekom Austria tätig -, die unter anderem für zwei FPÖ-Infrastrukturminister und für "den unabhängigen Telekom-Regulator Georg Serentschy" erstellt worden seien (etwa um das Jahr 2002). Zur Position der RTR und von Dr. Georg Serentschy dazu siehe deren heutige Aussendung, in der sie sich "alle möglichen rechtlichen Schritte in alle Richtungen gegen das Aufstellen und Verbreiten rufschädigender Unterstellungen" vorbehalten. Zu den alten Sachen will ich hier nichts anmerken (für ein kleines Stimmungsbild von damals illustrativ zB das, das, das und das), ich möchte nur die profil-Missverständnisse zur Organisation der Telekom-Regulierung in Österreich kurz aufklären - dazu zunächst ein Zitat aus dem profil-Bericht:
"Seit 2002 sitzt Georg Serentschy für die Republik Österreich an der Spitze der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH, kurz RTR.. Er erfüllt damit eine wichtige Funktion. Die von der Papierform her unabhängige RTR wacht unter anderem darüber, dass Kundentarife wie Geschäftsbedingungen klar kalkuliert und formuliert werden und kein Anbieter eine allfällige marktbeherrschende Stellung zu seinen Gunsten missbraucht. Und wenn doch, kann die RTR scharfe Sanktionen verhängen. Kurzum: Ohne Georg Serentschy herrschte auf dem österreichischen Telekommunikationsmarkt Funkstille."
1. Von der Papierform her unabhängige RTR?
Unabhängig ist die RTR von den Betreibern (zB von der Telekom Austria), nicht aber von der Politik: die RTR unterliegt - im Fachbereich Telekommunikation und Post - der Aufsicht und den Weisungen der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie, bzw in fachlicher Hinsicht in der Tätigkeit für die Telekom-Control-Kommission den Weisungen der Vorsitzenden dieser Kommission (siehe näher dazu § 18 KOG).

2. RTR wacht über Kalkulation von Kundentarifen etc.?
Die von profil hier genannten Aufgaben, soweit sie überhaupt von einer Regulierungsbehörde wahrgenommen werden, sind nicht Aufgaben der RTR, sondern der Telekom-Control-Kommission, zu deren Unterstützung die RTR dient (§ 16 KOG; § 17 Abs 2 KOG).

3. RTR kann scharfe Sanktionen bei Marktmachtmissbrauch verhängen?
Unsinn: beim Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung kann die RTR keinerlei Sanktionen (oder gar "scharfe Sanktionen") verhängen; über die theoretisch mögliche Abschöpfung der Bereicherung nach § 111 TKG 2003 wäre auf Antrag der Telekom-Control-Kommission durch das Kartellgericht zu entscheiden; einzige Aufgabe der RTR in diesem Zusammenhang wäre es, den abgeschöpften Betrag zu ihrer Finanzierung entgegenzunehmen (§ 111 Abs 2 TKG 2003).

4. Funkstille?
Ohne Aufgaben und Bedeutung des Geschäftsführers für den Fachbereich Telekommunikation und Post der RTR gering achten zu wollen: auch ohne ihn - egal, wer diese Funktion gerade ausübt - würde auf dem österreichischen Telekommunikationsmarkt wohl kaum Funkstille herrschen. Bei aller Liebe zur journalistischen Zuspitzung und Übertreibung sollte der Tatsachenbezug nicht ganz verloren gehen.

Thursday, February 03, 2011

Geheime Kompetenz: das "Kompetenzzentrum Internetgesellschaft", noch immer ohne Internet

Im Jänner 2011, so hieß es im vergangenen September, werde es das erste halbwegs öffentliche Lebenszeichen des sogenannten "Kompetenzzentrums Internetgesellschaft" geben: einen Bericht (an die Bundesregierung). Das ist schon insofern bemerkenswert, als eigentlich halbjährliche Berichte vorgesehen waren und das "Kompetenzzentrum" im Februar 2010 gegründet wurde. Aber egal, der Jänner ist mittlerweile auch vergangen, ohne dass es einen Bericht gegeben hätte. Und zu einer Internetpräsenz hat es das "Kompetenzzentrum Internetgesellschaft" auch noch immer nicht gebracht (vielleicht muss man sich das auch irgendwie als kommunizierende Gefäße denken, nach dem Motto: je weniger Internet, desto mehr Kompetenz).

Aber wahrscheinlich arbeiten mittlerweile doch irgendwo die üblichen Folienknechte Experten an einem sicher wunderbar designten ersten Bericht, der gerade noch rechtzeitig zum ersten Jahrestag des "Kompetenzzentrums" (9. Februar) - vielleicht auf einem USB-Stick - der Bundesregierung übergeben werden könnte. Schön, wenn dann nach einem Jahr der Rahmenzeitplan erstellt und die Priorisierung unter Einbindung der Stakeholder erfolgt und auch die operativen Ziele in der gebotenen Granularität spezifiziert und quantifiziert und schließlich auch alle Synergien gescreent, Awareness-Maßnahmen koordiniert und Interdependenzen evaluiert sein werden.

PS: die kursiven Worte im letzten Absatz gehören zum B...reitband-Bingo (Anfängerversion).
cross-posted from internetgesellschaft.at

Update 06.02.2011: laut Marcin Kotlowski, Kommunikationschef der SPÖ, wird der Ministerrat am 15.02.2011 den "1. Prioritätenkatalog" des "Kompetenzzentrums Internetgesellschaft" beschließen und "in weiterer Folge" wird tatsächlich auch eine Internetpräsenz des "Kompetenzzentrums Internetgesellschaft" umgesetzt werden
Update 09.02.2011: Die Computerwoche bzw. die APA hat sich der Sache angenommen und beginnt den Artikel so: "Es währt schon lange. Aber wird es auch endlich gut?".
Helge Fahrnberger schreibt: "1073 Tage und wir haben eine Maßnahmenliste!" und wird von Marcin Kotlowski daraufhin aufgefordert, "Konstruktiv [zu] helfen statt nur darüber zu bloggen", Ergänzung "Auch konstruktives bloggen hilft." Und überhaupt, so Kotlowski, sei ja nichts gescheitert, offenbar im Gegenteil, denn ein im letzten Jahr veröffentlichtes Buch zeige, "dass gute Dinge in Ö möglich sind. Es zeigt, dass trotz Neuwahl 2008 dieses wichtige Projekt arbeitet." Ein Ironiehinweis ist sich in den 140 Twitter-Zeichen nicht mehr ausgegangen.

Generalanwältin: territorial abgegrenzte Übertragungsrechte beschränken Dienstleistungsfreiheit und können auch wettbewerbswidrig sein

Die (britische) Football Association Premier League vergibt an Fernsehsender territorial abgegrenzte Lizenzen für die Übertragung ihrer Spiele. Die Lizenznehmer müssen das Signal verschlüsseln und Maßnahmen gegen den Vertrieb von Decoderkarten außerhalb des Lizenzgebiets treffen. Logische Folge: da in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Preise für entsprechende Pay-TV-Abos gezahlt werden, das Satellitensignal aber nicht an Landesgrenzen halt macht, wandern die Decoderkarten doch über die Grenze - zB von Griechenland nach England.

Vor allem britische Gastwirte nützten den deutlichen Preisunterschied aus und zeigten ihren Kunden britische Spiele mit einer griechischen Decoderkarte. Die Football Association versucht gegen diese Pubs vorzugehen, gestützt unter anderem auf die Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitungs-RL (93/83/EWG), die RL zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (2001/29/EG) und die Zugangskontroll-RL (98/84/EG). In den daraus resultierenden Rechtsstreitigkeiten hat der High Court of Justice (Chancery Division einerseits, Queen's Bench andererseits) dem EuGH recht umfassende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt (verbundene Rechtssachen C-403/08 Football Association Premier League u.a. und C-429/08 Murphy)

Heute hat Generalanwältin Kokott dazu ihre Schlussanträge erstattet und die Exklusivitätsvereinbarungen als schwerwiegende Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit beurteilt, für die keine Rechtfertigung bestehe. Es gebe - so die Pressemitteilung des Gerichts - "kein spezifisches Recht, in jedem Mitgliedstaat andere Preise für eine Leistung zu verlangen. Vielmehr liege es in der Logik des Binnenmarktes, dass Preisunterschiede zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten durch Handel ausgeglichen werden. Die Vermarktung von Senderechten auf der Grundlage territorialer Exklusivität liefe darauf hinaus, aus der Ausschaltung des Binnenmarktes Gewinn zu erzielen. Im Ergebnis rechtfertige daher der spezifische Gegenstand der Rechte an der Übertragung von Fußballspielen keine Aufteilung des Binnenmarkts und somit auch nicht die gegebene Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit." Unterschiedliche Bedingungen für die private Wiedergabe und die Wiedergabe in Gaststätten wären aber zulässig. Hier die aus meiner Sicht interessantesten Antworten (in englischer Sprache; die - originale! - deutsche Sprachfassung ist noch nicht verfügbar Update 5.2.2011: durch die nun zugängliche deutsche Fassung ersetzt):
"Die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV (früher Art. 49 EG) steht Regelungen entgegen, die es aus Gründen des Schutzes von geistigem Eigentum verbieten, in einem Mitgliedstaat Zugangskontrollvorrichtungen für verschlüsseltes Satellitenfernsehen zu verwenden, die in einem anderen Mitgliedstaat mit Zustimmung des Inhabers der Rechte an der Sendung in Verkehr gebracht wurden. Ob diese Vorrichtungen in dem anderen Mitgliedstaat durch Angabe eines falschen Namens und einer falschen Privatanschrift beschafft und/oder aktiviert wurden, ist unerheblich. Auch eine einzelvertragliche Vereinbarung, die Decoderkarten nur zu häuslichen oder privaten Zwecken zu verwenden, ändert an diesem Ergebnis nichts."

"Wenn ein Anbieter von Programminhalten eine Reihe von exklusiven Lizenzen jeweils für das Gebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erteilt, denen zufolge das Fernsehunternehmen die Programminhalte nur in diesem Gebiet (einschließlich über Satellit) senden darf, und jede Lizenz eine vertragliche Verpflichtung enthält, wonach das Fernsehunternehmen zu verhindern hat, dass seine Satellitendecoderkarten, die den Empfang des lizenzierten Programminhalts ermöglichen, außerhalb des Lizenzgebiets verwendet werden, so sind diese Lizenzvereinbarungen geeignet, den Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen. Sie sind daher mit Art. 101 Abs. 1 AEUV unvereinbar; der Nachweis, dass solche Wirkungen tatsächlich eingetreten sind, ist nicht erforderlich."
Update: mehr dazu bei informationoverlord, bei rapidhammer (TV-Bosman ante portas) und auf contentandcarrier (letzter Absatz: Überlegungen zu möglichen Auswirkungen auf Österreich); update 07.02.2011: siehe auch bei Charles Russell; und (08.02.2011) bei Kartellblog und schließlich (15.08.2011) Thomas Graf im Kluwer Competition Law Blog.

Wednesday, February 02, 2011

EGMR zur Kritik eines Offiziers an der Heeresführung - und andere Art 10 EMRK-Entscheidungen aus dem Jahr 2010

Darf ein hoher Offizier die Heeresführung öffentlich (in einem Printmedium) kritisieren? Auch wenn das wie eine Frage klingt, über die in Österreich derzeit manche nachdenken dürften, geht es hier doch um einen schon älteren Fall, der seinen Ausgang in Deutschland nahm und der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im vergangenen Jahr entschieden wurde.

Ein Oberstleutnant der Bundeswehr hatte einen Artikel mit dem Titel "Geist oder Ungeist der Generalität" publiziert, in dem er der deutschen Generalität "Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit" vorwarf, außerdem hätte sie nicht "auch nur einen Funken Ehrgefühl sowie Rechts- und Moralbewußtsein im Leibe". Der Offizier beschwerte sich wegen der über ihn deshalb verhängten Disziplinarstrafe von € 750 beim EGMR, der die Beschwerde mit Entscheidung vom Entscheidung vom 14.09.2010, Rose gegen Deutschland (Appl. Nr. 51001/07), als unzulässig, weil offensichtlich unbegründet, beurteilt. Der Beschwerdeführer sei nicht wegen der geäußerten Meinung, sondern wegen der Angriffe auf die Ehre und den guten Ruf seiner vorgesetzten Offiziere, die geeignet gewesen seien, das Funktionieren der Bundeswehr schwer zu stören, sanktioniert worden; auch sei die Disziplinarstrafe moderat ausgefallen. Dass auch ein Offizier das Recht hat, die Heeresführung - auch übertrieben und polemisch - zu kritisieren, hatten schon die deutschen Gerichte anerkannt (übrigens gibt es auch in Sachen Meinungsäußerungsfreiheit und Militär einen österreichischen leading case des EGMR: 19.12.1994, Vereinigung demokratischer Soldaten Österreichs and Gubi v. Austria).
[Update 27.02.2011: Jürgen Rose, Beschwerdeführer im Fall Rose gegen Deutschland, hat mir die von den Rechtsanwälten Prof. Dr. Jörg Arnold und Wolfgang Kaleck verfasste Beschwerde an den EGMR zur Verfügung gestellt, aus der nähere Informationen zum Hintergrund dieser Sache zu entnehmen sind - hier zu lesen.]

Auf die Entscheidung im Fall Rose bin ich bei der Durchsicht einschlägiger Unzulässigkeitsentscheidungen des EGMR aus dem Jahr 2010 gestoßen. Bei weitem nicht alle Verfahren vor dem EGMR enden nämlich mit Urteil: letztes Jahr standen etwa 2607 Urteilen 38.576 Entscheidungen gegenüber, mit denen Beschwerden als unzulässig (weil "manifestly ill-founded") erklärt oder - aus verschiedenen Gründen - aus dem Register gestrichen wurden. Das betrifft natürlich auch Fälle, in denen Verletzungen des Art 10 EMRK geltend gemacht werden - und so muss man, um einen guten Überblick über die Strassburger Rechtsprechung zu behalten, von Zeit zu Zeit auch diese Entscheidungen durchsehen (der Begriff "Entscheidungen" wird hier nicht als Überbegriff, sondern als Fachbegriff im Unterschied zu den "Urteilen" verwendet).

Die Art 10 EMRK-(Unzulässigkeits-)Entscheidungen für das Jahr 2010 habe ich weiter unten chronologisch zusammengestellt, mit mehr oder weniger knappen Ausführungen bzw. Zitaten zu Sachverhalt und Begründung (Achtung: da die Entscheidungen oft einige Zeit später erst veröffentlicht werden, könnte noch die eine oder andere aus 2010 unveröffentlicht sein; Fälle, in denen Art 10 EMRK zwar in der Beschwerde angesprochen wurde, aber in der Entscheidung keine Rolle gespielt hat, habe ich ebenso ausgelassen wie manche Fälle, in denen die Unzulässigkeit rationae personae [weil den Beschwerdeführern kein Opferstatus zukam] ausgesprochen wurde, wenn dies aus meiner Sicht vollkommen unspannend war). Zwei "Highlights" unter diesen Entscheidungen habe ich im Blog schon vorgestellt (Le Pen, 92.9 Hit FM). Ansonsten findet sich nicht viel Spektakuäres: unglückliche agierende Whistleblower (Balenovic, Bathellier), nicht sauber recherchierende Journalisten (Effecten Spiegel, Litauisches Fernsehen), ein mühsam in Zaum gehaltener Abtreibungsgegner (Annen), ein Serienmörder, der seine Autobiographie nicht veröffentlichen darf (Nilsen) usw. Hier die Details: