Wednesday, October 13, 2010

EGMR: Lizenzentzug für Radiostation wegen (unzutreffendem) Vorwurf einer Piratensendung

Radyo Nur ist ein religiös ausgerichteter türkischer Rundfunkveranstalter, der schon einmal vor dem EGMR Erfolg hatte: mit Urteil vom 27.11.2007 hatte der EGMR eine Verletzung des Art 10 EMRK festgestellt, weil die türkische Regulierungsbehörde ein Sendeverbot von 180 Tagen verhängt hatte, nachdem in einer Sendung ein Erdbeben mit tausenden Toten als Warnung Allahs gegenüber seinen Feinden, deren Tod er beschlossen habe bezeichnet wurde. Der EGMR hat damals zwar anerkannt, dass es sich um verletzende Bemerkungen gehandelt hatte, die in einem besonders tragischen Zusammenhang ausgesprochen worden waren, aber dass sie nicht zu Gewalt aufgerufen haben und nicht geeignet waren, Hass gegen Personen zu schüren, die nicht der vom Sender vertretenen religiösen Gemeinschaft angehörten; vor diesem Hintergrund wurde die Strafe eines 180-tägigen Sendeverbots als zu weitreichend und damit als Verletzung des Art 10 EMRK beurteilt.

Aber das war nicht das einzige Sendeverbot: die Regulierungsebehörde hatte noch fünf weitere solche Verbote verhängt und schließlich die Lizenz entzogen. Dabei stützte sich die Behörde maßgebend auf eine Piratensendung, die während eines Sendeverbots illegal ausgestrahlt worden war. Diese Ausstrahlung wurde Nur Radyo zugerechnet, weil sie der redaktionellen Linie dieses Senders entsprach. Da die Manager des Senders aber vom Piratensender-Vorwurf gerichtlich freigesprochen wurden, hat der EGMR nun in seinem Urteil vom 12. Oktober 2010 im Fall  Nur Radyo ve Televizyon Yayinciligi A.S. gegen Türkei (no. 2) (Application No. 42284/05), den - gerade auf den Piratensender-Vorwurf gestützten - Lizenzentzug als Verletzung von Art 10 EMRK beurteilt. Der EGMR betont sehr deutlich die Umstände des Einzelfalls (in Absatz 57: "la Cour estime que, dans les circonstances particulières de l'affaire, l'atteinte portée au droit de la requérante à la liberté d'expression n'était pas « nécessaire dans une société démocratique ».") und verweist darauf, dass es grundsätzlich an den nationalen Richtern liege, die Notwendigkeit eines Eingriffs in das Recht auf freie Meinungsäußerung zu beurteilen. Das Urteil lässt - wie auch das Urteil vom 27.11.2007 - keinerlei grundsätzliche Bedenken des EGMR gegenüber Beschränkungen für religiöse Rundfunksendungen unter Art 10 EMRK erkennen.

No comments :