Monday, June 22, 2009

347 Mio. Euro jährlich Staatshilfe für den ORF? Was sich die ORF-Retter wünschen

Eine "Rettungsbeihilfe" im engeren (gemeinschaftsrechtlichen) Sinne soll es nicht sein, was sich die vereinigten ORF-Retter* - nun unter der Bezeichnung "Inititative PRO ORF" - für den ORF vorstellen. Denn Rettungsbeihilfen könnten erstens nur Finanzhilfen in Form eines Darlehen oder einer Darlehensbürgschaft sein und dürften zweitens nur bis zu höchstens sechs Monate gezahlt werden.

Die "Initiative PRO ORF" will aber, wenn ich die kryptischen Forderungen richtig verstanden habe, dem ORF Jahr für Jahr etwa 347 Mio. Euro staatliches Geld zukommen lassen (zusätzlich zu den derzeit von den ZuseherInnen und ZuhörerInnen schon bezahlten Programmentgelten). Das wären immerhin rund 82 Mio. Euro mehr, als der ORF letztes Jahr an Werbeerlösen erzielt hat.

Ausdrücklich stehen die 347 Mio. Euro jährlich zwar nicht im Forderungspapier, aber wenn der zweite Satz der zweiten "PRO ORF"-Forderung irgendeinen Sinn ergeben soll, dann kann man ihn wohl nur so verstehen. Dieser Satz lautet:
"Die ORF-Gebühren müssen zu 100 Prozent für den ORF verwendet und automatisch an die Preisentwicklung angepasst werden, Gebührenbefreiungen sind zu ersetzen."
Da es keine "ORF-Gebühren" gibt und die Programmentgelte zu 100% dem ORF zukommen, dürfte mit den "ORF-Gebühren" wohl das gemeint sein, was auch die GIS oft einfach (und falsch) als "Rundfunkgebühren" bezeichnet: die Summe aus Programmentgelt und den mit den Programmentgelten eingehobenen Abgaben. Davon gehen derzeit laut GIS 66% an den ORF - im Jahr 2008 waren das 504 Mio. Euro - und 34% an Bund und Länder.

Die Forderung von "PRO ORF", 100% der "ORF-Gebühren" an den ORF gehen zu lassen, würde demnach also eine Verschiebung von etwa 260 Mio. Euro von Bund und Ländern zum ORF bedeuten (jährlich!).

Der zweite Teil der Forderung, "Gebührenbefreiungen sind zu ersetzen", würde eine öffentliche Finanzspritze von jährlich etwa 57 Mio. Euro allein auf Basis der derzeitigen Programmentgelte bedeuten (siehe dazu zB schon hier oder hier). Da aber nach dem ersten Teil der Forderung 100% der "ORF-Gebühren" dem ORF zukommen sollen, muss man wohl auch beim Ersatz der Befreiungen nicht nur vom Programmentgelt, sondern von der Summe aus Programmentgelt und (derzeitigen) Abgaben ausgehen. Damit ergibt sich unter dem Titel "Ersatz von Gebührenbefreiungen" ein Betrag von rund 87 Mio. Euro.

In Summe wären es also rund 347 Mio. Euro jährlich, oder - jedenfalls nach der geforderten Inflationsanpassung - fast 1 Mio. Euro pro Tag, die nach den Vorstellungen von "Pro-ORF" aus öffentlichen Haushalten dem ORF zusätzlich zugeschossen werden sollten. (Die Berechnung ist - auch mangels detaillierter publizierter Zahlen - natürlich nur eine Annäherung. Da im vergangenen Jahr am 1. Juni eine Erhöhung des Programmentgelts vorgenommen wurde, müsste in der Tendenz wohl mit noch höheren Beträgen gerechnet werden). Finanzierungsvorschläge dafür sind auf der Pro-ORF-Website nicht zu finden, auch in den ersten Berichten über die Pressekonferenz (hier und hier) habe ich dazu noch nichts gelesen.

*) Die in der Initiative zusammengeschlossenen "Organisationen" sind Rettet den ORF, Plattform Zivilgesellschaft für einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, "Österreichische Filmwirtschaft" (was immer man sich darunter vorstellen mag, der Fachverband dürfte es offenbar nicht sein) und die Petition zur Rettung des Radio-Symphonieorchesters Wien.
Update 14.07.2009: mittlerweile wurde auf der PRO ORF-Website die "Österreichische Filmwirtschaft" still und leise durch eine "Plattform Filmwirtschaft und Filmkultur mit dem ORF" ersetzt. Diese Plattform setzt sich wiederum aus verschiedenen Verbänden (FilmAustria, Association of Austrian Filmproducers, Verband Filmregie Österreich, und Dachverband der Filmschaffenden zusammen, sowie ausdrücklich auch dem Fachverband der Audiovisions- und Filmindustrie der Wirtschaftskammer) zusammen (Links auf der Plattform-Seite).

5 comments :

Dan said...

Ich bin sehr dafür, dass 100% der "Rundfunkgebühren" an den ORF gehen und somit klar ist, was der ORF bekommt. Deren Höhe muss dann natürlich reduziert werden. Meinetwegen sollen die Länder dann ihre eigenen Steuern einführen. Es ist nicht einzusehen, warum GIS-Zahler einen Beitrag (zum Beispiel) zur Wiener Altstadterhaltung leisten sollen und andere nicht.

schimi said...

Sorry, für die saloppe Frage, aber: So what?!

Finde in deiner Argumentation irgendwie keinen Anhaltspunkt, warum diese Berechnung der Initiative nicht durchaus bewusst sein sollte. Genau das ist es, was sie wollen. Denn das Kernproblem ist ja, dass die Menschen GIS Gebühren bezahlen und glauben das fließe 1:1 an den ORF. Tut es aber nicht, wie du sehr richtig dargestellt hast. Dass dieses Geld nicht zweckentfremdet verwendet wird, nicht mehr und nicht weniger fordert die Initiative. Das ist einfach eine prinzipielle Frage, da geht es nicht um die Angst, dass am Ende zuviel Geld da wäre.

Wenn es dir hingegen darum geht, dass du findest die tatsächliche Summe wäre einfach zu groß um den ORF zu führen, sei dir diese Meinung unbenommen. Zwei Dinge muss ich aber dazu anmerken:
1. Tatsächlich sind deine Zahlen eine sehr grobe "Annäherung": Wrabetz selbst schätzt den Anteil der GIS-Gebühren, die an Bund und Länder fließt beispielsweise in seinem Papier auf 177 Millionen. Wie kommst du auf 260?
2. Glauben eben viele, dieses Geld wird ausschließlich dafür verwendet um ein paar Fernseh und Radiosender zu finanzieren. Das stimmt aber nicht. Laut Gesetz ist hier z.B. auch die Erhaltung eines Symphonieorchesters oder die Förderung der Öst. Filmwirtschaft inkludiert. Darum ja auch der von dir angesprochene Zusammenschluss an Initiatoren.

Judith said...

@Schimi Statt den ORF zu reformieren (was dringend notwendig ist), einfach an allen Ecken und Enden mehr Geld zuzuschießen, ist vielleicht eben doch nicht die Lösung.

Der Auftrag des ORF muss einfach mal neu überdacht werden, der von Wrabetz versprochenen Public Value Test zum Bsp. mal angedacht werden - Qualitätskriterien überhaupt mal. Und muss der ORF wirklich ein Symphonieorchester haben? (Oder andere Dinge, die er sich leistet)?

Der ORF hat kein angestammtes Recht darauf, so wie er jetzt ist und finanziert wird auf alle Ewigkeiten weiter zu bestehen - unabhängig von Kosten-Nutzenverhältnis.

hplehofer said...

@schimi
1. Ich finde auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Berechnung der Initiative bewusst wäre. Dass eine Initiative, die u.a. von einigen wesentlichen Zeitungen getragen wird, dafür eintritt, dass die öffentliche Hand das 27fache der gesamten Presseförderung dem ORF zusätzlich zuschießt, würde mich doch überraschen (noch dazu, wenn ich mir zB den Kommentar von Isabella Wallnöfer in der Presse durchlese, in dem sie kritisiert, dass die Bevölkerung den ORF "zu einem immer größeren Anteil durchfüttert" - die Forderung, auch der Presse, geht ja dahin, dass die Bevölkerung den ORF noch zu einem weit höheren Anteil durchfüttert). Und ein wenig seriöser wäre es halt gewesen, wenn man vernünftige Zahlen genannt hätte und einen Vorschlag dazu, wie die Steuerzahler das finanzieren sollen. Denn wir gehen doch wohl davon aus, dass das jetzt über die Bundes- und Landesabgaben eingenommene Geld für einen im öffentlichen Interesse gelegenen Zweck eingesetzt wird, der nicht einfach wegfällt, wenn das Geld stattdessen dem ORF zukommt: das heißt, dass die Abgaben dann eben auf andere Art eingehoben werden. [Da könnte man dann schon überlegen, ob das allenfalls sozial verträglicher gestaltet werden könnte, statt wie derzeit de facto über eine regressive Kopf- bzw. Haushaltssteuer.]

Ein Indiz dafür, dass man sich in "PRO ORF" nicht mit konkreten Zahlen aufgehalten hat, ist auch, dass mit diesen Beträgen der ORF sogar nach der derzeitigen Situation massiv überfinanziert wäre. Mitanderen Worten, die gleichzeitig von "PRO ORF" eingeforderte "tiefgreifende Strukturreform" wäre schon allein deshalb notwendig, weil man mit der gegenwärtigen Struktur gar nicht so viel Geld ausgeben könnte, wie "PRO ORF" dem ORF zukommen lassen möchte.

Ich habe übrigens bewusst jede konkrete Auseinandersetzung mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für eine derartige Finanzierung unterlassen (etwa im Hinblick auf das EU-Beihilfeverfahren), einfach weil das alles so unkonkret ist und sich die an der Initiative Beteiligten damit ganz offensichtlich nicht beschäftigt haben.

2. Die Menschen glauben überwiegend nicht, dass das was sie an die GIS bezahlen, 1:1 an den ORF fließe. Quelle: GIS "69% wissen, dass der ORF nur einen Teil der Gebühren erhält". So dumm, wie sie auch von Chefredakteuren in der Diskussion oft hingestellt werden, sind die ÖsterreicherInnen nicht.

hplehofer said...

@ schimi - Fortsetzung (Blogger nimmt leider keine längeren Kommentare)

3. Das Geld wird nicht "zweckentfremdet", sondern genau den gesetzlich vorgesehenen Zwecken zugeführt. Wenn der ORF mehr Geld will, kann er (er selbst, er allein und nur er - derzeit noch) das Programmentgelt erhöhen.

4. Ich habe mich nicht dazu geäußert, wieviel der ORF an Programmentgelt und/oder (sonstigen) staatlichen Mitteln bekommen sollte. Ich glaube auch nicht, dass man dies so von außen und über den Daumen sagen kann; wohl aber glaube ich, dass 347 Mio € pro Jahr mehr bis jetzt noch nicht einmal vom Generaldirektor gefordert wurden.

5. Was Generaldirektor Wrabetz schätzt, weiß ich offiziell nicht, sein Papier wird nicht veröffentlicht. Faktum ist, dass er laut Medien eine Größenordnung von 177 Mio € genannt hat, was etwa dem Aufkommen an Kunstförderungsbeitrag und Landesabgaben entspräche. Aber Wrabetz ist nicht Teil der "PRO ORF"-Initiative. Wie ich auf 260 Mio € komme, habe ich im Beitrag erklärt, aber gerne hier noch einmal step by step: das ORF-Jahresergebnis (laut ORF) weist 504 Mio € Erlöse aus Programmentgelten aus; dividiert man dies durch 66 und multipliziert man das Ergebnis mit 34, so kommt man auf 260 Mio € (laut GIS verbleiben dem ORF 66% der von ihr eingehobenen Beträge, dh man muss die Ergänzung von 504 Mio €, entsprechend 66%, auf 100% errechnen); ich hoffe, dass das nun klar genug ist.

6. Die Gesetzesstelle mit der Verpflichtung zur "Erhaltung eines Symphonieorchesters" kenne ich nicht. Ebenso wenig einen gesetzlichen Auftrag zur "Förderung der Öst. Filmwirtschaft". Was es gibt, ist im Programmauftrag u.a. die Verpflichtung für die "angemessene Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion" zu sorgen. Man kann nun durchaus diskutieren, ob diesem Auftrag dadurch nachgekommen werden soll, dass ein Orchester erhalten wird und wie man dieses finanziert; dasselbe gilt auch für die Förderung österreichischer Kreativität im Wege von Aufträgen an österreichische Produzenten. Aber schwarz auf weiß im Gesetz steht zB die Erhaltung eines Sinfonieorchesters eben nicht.

(Dass zB die Erhaltung eines Orchesters nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, zeigt sich übrigens unter anderem auch daran, dass der GD vorschlagen kann, dieses unter Umständen auch nicht mehr zu erhalten, ohne dass ihm damit ein Gesetzesbruch vorgeworfen werden könnte.)